Behandlungen für Sprechstörungen (Dysarthrie) nach Schlaganfall oder anderen nicht-fortschreitenden Hirnschädigungen

Forschungsfrage
Welche Behandlungsansätze helfen Menschen, die nach einem Schlaganfall oder einer anderen, im Erwachsenenalter erworbenen Hirnverletzung Schwierigkeiten haben, deutlich zu sprechen?

Hintergrund
Hirnschäden, die durch einen Schlaganfall, Verletzungen oder andere nicht-fortschreitende Erkrankungen verursacht werden, können das Sprechen undeutlich machen und das Verstehen für Zuhörer erschweren. Dieser Zustand wird Dysarthrie genannt und tritt auf, wenn Gesichts-, Zungen und Rachenmuskulatur schwach und langsam sind und unkoordiniert zusammenwirken. Dysarthrie kann dazu führen, dass Betroffene beim Sprechen das Selbstvertrauen verlieren und sozial isoliert werden, auch wenn andere die Symptome als schwach empfinden. Menschen mit Dysarthrie haben keine Schwierigkeiten zu denken, sich zu erinnern oder Wörter abzurufen.

Die Behandlung wird üblicherweise von einem Sprachtherapeuten oder Logopäden durchgeführt und umfasst die Beratung und Anleitung sowie die Vermittlung von Strategien und Übungen, um die Sprechgenauigkeit zu verbessern und in der sozialen Interaktion zurecht zu kommen. Auch andere Verfahren wie Akupunktur oder Gehirnstimulation werden angewandt.

Wir wollten herausfinden, ob eine Behandlung wirkt, ob die Therapieeffekte langfristig sind und, wenn ja, welche Behandlung am besten wirkt, wann die Behandlung begonnen werden sollte, wie häufig die Behandlung erfolgen sollte und wie lange. Um das herauszufinden, suchten, bewerteten und fassten wir die Qualität der Forschungsergebnisse zu diesem Thema zusammen.

Suchdatum

Wir suchten bis Mai 2016 nach Literatur.

Studieneigenschaften
Wir schlossen fünf kleine Studien mit nur 234 Personen ein, die randomisiert wurden. Fast alle Teilnehmer hatten einen Schlaganfall erlitten. Zwei Studien verglichen eine Dysarthriebehandlung mit Aufmerksamkeitssteuerung und drei verglichen eine Behandlung mit Standardbehandlung. Es gab keine Studien, die eine Behandlung mit keiner Behandlung verglichen.

Hauptergenisse
Wir fanden wenige randomisierte kontrollierte Studien zu Behandlungen bei Dysarthrie und diese hatten kleine Teilnehmerzahlen oder waren nicht angemessen entworfen oder wiesen eine mangelhafte Berichterstattung auf.

Wir haben viele verschiedene Messungen zu verschiedenen Zeitpunkten nach der Behandlung verglichen, daher ist bei der Interpretation der Ergebnisse Vorsicht geboten. Wir fanden bei den meisten Messungen keine Evidenz für Wirksamkeit, so auch bei den Messungen der dauerhaften Verbesserung der täglichen Kommunikationsfähigkeiten. Ein positives Ergebnis war eine kurzfristige Verbesserung der Muskelbewegungen, beispielsweise die Kontrolle von Zunge und Lippen. Dieses Ergebnis ist jedoch nicht zuverlässig, da es auf einer geringen Anzahl von Personen basiert, und wir haben Bedenken hinsichtlich der Durchführung und Berichterstattung einiger Studien. Dieses Ergebnis muss in einer größeren und besser entworfenen Studie untersucht werden.

Wir fanden keine ausreichende Evidenz, um zu ermitteln, ob eine bestimmte Behandlung besser ist als eine andere oder ob Behandlung besser ist als allgemeine Unterstützung oder besser als keine Behandlung. Wir fanden keine Studien, die die zeitliche Koordination, die Dauer oder die Intensität der Behandlung untersuchten. Dies ist eine klinisch wichtige Frage und sollte in zukünftigen Studien berücksichtigt werden.

Qualität der Evidenz
Die eingeschlossenen Studien unterschieden sich in ihrer Qualität, allen gemeinsam ist jedoch, dass sie geringe Teilnehmerzahlen aufwiesen. Insgesamt wurde die Qualität der Evidenz aus den Studien als niedrig bis sehr niedrig bewertet.

Schlussfolgerungen der Autoren: 

Wir fanden keine eindeutigen RCTs mit adäquater Teststärke zu Interventionen für Menschen mit Dysarthrie. Wir fanden begrenzte Evidenz für die Annahme, dass sich Interventionen unmittelbar post-interventionell vorteilhaft auf Messungen des Funktionslevels auswirken können. Weitere Forschung von höherer Qualität ist nötig, um diese Ergebnisse zu bestätigen.

Obwohl wir fünf Studien evaluierten, bleiben Nutzen und Risiken der Interventionen unbekannt. Die sich abzeichnende Evidenz rechtfertigt die Notwendigkeit für klinische Studien mit adäquater Teststärke bei dieser Erkrankung.

Menschen mit Dysarthrie nach Schlaganfall oder Hirnverletzung sollten weiterhin Rehabilitation gemäß klinischen Leitlinien erhalten.

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Hintergrund: 

Dysarthrie ist eine erworbene Sprechstörung infolge einer neurologischen Schädigung. Sie führt zu reduzierter Sprechverständlichkeit aufgrund reduzierter Muskelkraft und unpräziser, verlangsamter und/oder unkoordinierter muskulärer Steuerung. Dysarthrien wirken sich nicht nur auf die Kommunikation, sondern auch auf die psychosoziale Funktionsfähigkeit aus. Dies ist die Aktualisierung eines zuvor im Jahr 2005 veröffentlichten Reviews. Der Umfang des Reviews wurde um zusätzliche Interventionen erweitert und der Titel entsprechend angepasst.

Zielsetzungen: 

Beurteilung der Wirksamkeit von Interventionen zur Verbesserung dysarthrischen Sprechens nach Schlaganfall oder anderen nicht progressiven, im Erwachsenenalter erworbenen Hirnverletzungen wie Traumata, Infektionen, Tumore und chirurgische Eingriffe.

Suchstrategie: 

Wir durchsuchten das Cochrane Stroke Group Trials Register (Mai 2016), CENTRAL (Cochrane Library 2016, Ausgabe 4), MEDLINE, Embase und CINAHL am 6. Mai 2016. Wir durchsuchten auch Linguistics und Language Behavioral Abstracts (LLBA) (1976 bis November 2016) sowie PsycINFO (1800 bis September 2016). Um weitere veröffentlichte, unveröffentlichte und laufende Studien zu identifizieren, wurden große Studienregister durchsucht: WHO ICTRP, das ISRCTN-Register und ClinicalTrials.gov. Wir durchsuchten zudem händisch Literaturverzeichnisse relevanter Publikationen und kontaktierten akademische Institutionen sowie weitere Wissenschaftler bezüglich weiterer veröffentlichter, unveröffentlichter oder laufender Studien. Hinsichtlich der Sprache gab es keine Einschränkungen.

Auswahlkriterien: 

Wir wählten randomisierte kontrollierte Studien (RCTs) aus, die Interventionen bei Dysarthrie mit 1) keiner Intervention, 2) einer anderen Intervention für Dysarthrie (mit Unterschieden hinsichtlich der Methodik, Behandlungszeitpunkt, Dauer, Häufigkeit oder theoretischer Basis ) oder 3) Aufmerksamkeitssteuerung, verglichen.

Datensammlung und ‐analyse: 

Drei Review-Autoren wählten geeignete Studien aus, extrahierten Daten und bewerteten das Risiko für Bias. Falls erforderlich, versuchten wir bei Unklarheiten und fehlenden Daten die Studienautoren zu kontaktieren. Wir berechneten die standardisierte Mittelwertdifferenz (SMD) und das 95%-Konfidenzintervall (CI) mittels Random Effects Modell und führten eine Sensitivitätsanalyse durch, um den Einfluss der methodischen Qualität zu beurteilen. Wir planten eine Subgruppenanalyse für die einzelnen zugrundeliegenden Erkrankungen durchzuführen.

Hauptergebnisse: 

Wir schlossen fünf kleinere Studien ein, die insgesamt 234 Teilnehmer randomisierten. Bei zwei Studien wurde ein geringes Risiko für Bias festgestellt; keine der eingeschlossenen Studien besaß eine statistisch adäquate Teststärke. Zwei Studien nutzten Aufmerksamkeitssteuerung, die anderen drei verglichen eine Intervention mit einer anderen Intervention (in allen Fällen war das eine Intervention versus Standardversorgung). Bei unserer Suche fand sich keine Studie, die eine Intervention mit Nichtbehandlung verglich. Ebenso wurden keine Studien identifiziert, die Variationen in zeitlichem Ablauf, Intensität oder Dosis (d.h. Intensität über die Zeit) bei ansonsten gleicher Intervention verglichen. Vier Studien untersuchten ausschließlich Personen nach Schlaganfall; eine Studie schloss überwiegend Personen nach Schlaganfall ein, wobei auch Personen mit Hirnverletzungen untersucht wurden. Bei drei Studien wurde die Behandlung in den ersten Monaten nach dem Schlaganfall durchgeführt, zwei Studien rekrutierten Personen mit chronischer Dysarthrie. Drei der eingeschlossenen Studien untersuchten Verhaltensinterventionen eine untersuchte Akupunktur und eine weitere transkranielle Magnetstimulation. Eine Studie umfasste Personen mit Dysarthrie innerhalb einer breiter angelegten Studie mit kommunikationsbeeinträchtigten Personen.

Bei unserer primären Analyse von Langzeiteffekten (drei bis neun Monate nach der Intervention) zeigte sich bei den Messungen des Aktivitätslevels keine Evidenz für einen Vorteil der untersuchten Dysarthrieinterventionen im Vergleich zu den Kontrollgruppen (SMD 0,18, 95% CI -0,18 bis 0,55; 3 Studien, 116 Teilnehmer, GRADE: niedrige Qualität, I² = 0%). Die Ergebnisse der Sensitivitätsanalyse mit Studien mit geringem Risiko für Bias fielen ähnlich aus, allerdings mit einem etwas breiteren Konfidenzintervall und geringer Heterogenität (SMD 0,21, 95% CI -0,30 bis 0,73, I² = 32%; 2 Studien, 92 Teilnehmer, GRADE: niedrige Qualität). Die Ergebnisse der Subgruppenanalyse für Schlaganfall fielen ähnlich aus wie die der primären Analyse, da nur wenige Teilnehmer ohne Schlaganfall für die Studien rekrutiert worden waren (SMD 0,16, 95% CI -0,23 bis 0,54, I² = 0%; 3 Studien, 106 Teilnehmer, GRADE: niedrige Qualität).

Ähnliche Ergebnisse zeigten sich in den meisten sekundären Analysen. Es fand sich keine Evidenz für Langzeiteffekte auf die Funktionsbeeinträchtigung (SMD 0,07, 95% CI -0,91 bis 1,06, I² = 70%; 2 Studien, 56 Teilnehmer, GRADE: sehr niedrige Qualität) oder das Level der Partizipation (SMD -0,11, 95% CI -0,56 bis 0,33, I² = 0%; 2 Studien, 79 Teilnehmer, GRADE: niedrige Qualität), jedoch eine erhebliche Heterogenität bei Ersterem. Bei der Analyse der unmittelbaren post-interventionellen Endpunkte fand sich keine Evidenz für Kurzzeiteffekte bei den Messungen der Aktivitäts- (SMD 0,29, 95% CI -0,07 bis 0,66, I² = 0%; 3 Studien, 117 Teilnehmer, GRADE: sehr niedrige Qualität) oder der Partizipationslevel (SMD -0,24, 95% CI -0,94 bis 0,45; 1 Studie, 32 Teilnehmer).

Ein statistisch signifikanter Effekt zugunsten der Interventionen zeigte sich bei den unmittelbaren post-interventionellen Messungen des Funktionslevels (SMD 0,47, 95% CI 0,02 bis 0,92, P = 0,04, I² = 0%; 4 Studien, 99 Teilnehmer, GRADE: sehr niedrige Qualität). Jedoch besaß nur eine der vier eingeschlossenen Studien ein geringes Risiko für Bias.

Anmerkungen zur Übersetzung: 

D. Hinsen, F. Körner, A. de Sunda, freigegeben durch Cochrane Deutschland.

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