Metformin zur Vorbeugung/Verzögerung von Typ-2-Diabetes mellitus (T2DM) und damit verbundenen Komplikationen bei Personen mit erhöhtem Risiko für die Entwicklung von T2DM

Fragestellung

Kann das Antidiabetikum Metformin bei Menschen mit mäßig erhöhtem Blutzuckerspiegel die Entwicklung von Typ-2-Diabetes und den damit verbundenen Komplikationen verhindern oder verzögern?

Hintergrund

Menschen mit mäßig erhöhten Blutzuckerwerten (oft als „Prädiabetes“ bezeichnet) wird ein erhöhtes Risiko für die Entwicklung von Diabetes zugeschrieben. Metformin ist ein blutzuckersenkendes Medikament, das bereits seit langer Zeit zur Behandlung von Menschen mit Typ-2-Diabetes eingesetzt wird. Typ-2-Diabetes, auch als Altersdiabetes bezeichnet, ist die häufigste Form von Diabetes. Er verhindert, dass der Körper Insulin richtig verwertet (Insulinresistenz). Typ-2-Diabetes kann langfristig negative Auswirkungen auf die Gesundheit haben (diabetische Komplikationen), wie z.B. schwere Augen- oder Nierenerkrankungen oder "diabetische Füße", die zu Fußgeschwüren führen können.

Wir untersuchten, ob Metformin auch zur Vorbeugung oder Verzögerung von Typ-2-Diabetes bei Menschen mit erhöhtem Risiko eingesetzt werden kann. Wir untersuchten die Auswirkungen von Metformin auf patientenrelevante Endpunkte, wie zum Beispiel Komplikationen bei Diabetes, Todesfälle jeglicher Ursache, gesundheitsbezogene Lebensqualität und Nebenwirkungen des Medikaments.

Studienmerkmale

Um an der Studie teilnehmen zu können, mussten die Personen Blutzuckerwerte haben, die über dem Normalwert liegen, aber unterhalb der Werte, die zur Diagnose von Diabetes verwendet werden. Wir fanden 20 randomisierte kontrollierte Studien (klinische Studien bei denen teilnehmende Personen zufällig in eine von zwei oder mehreren Behandlungsgruppen eingeteilt werden) mit insgesamt 6774 Teilnehmenden. Die Teilnehmenden der Vergleichsgruppen erhielten Diät und Bewegung, intensive Diät und Bewegung oder ein anderes blutzuckersenkendes Medikament. Eine Studie dominierte die Evidenz (48% der Gesamtzahl aller Teilnehmenden). Zwölf Studien wurden in China durchgeführt. Wir schlossen nur Studien mit einer Behandlungsdauer von einem Jahr oder mehr ein. Die Behandlungsdauer variierte bei den eingeschlossenen Studien zwischen einem und fünf Jahren.

Der Stand der Evidenz ist März 2019.

Hauptergebnisse

In fünfzehn Studien wurde Metformin mit Diät und Bewegung verglichen. Acht Studien verglichen Metformin mit intensiver Diät und Bewegung. Drei Studien verglichen Metformin plus intensiver Diät plus Bewegung mit intensiver Diät und Bewegung. Im Vergleich zur Standardernährung und Bewegung bewirkt Metformin eine leichte Verzögerung in der Entwicklung von Diabetes. Allerdings bot Metformin im Vergleich zur intensiven Diät plus Bewegung keinen zusätzlichen Nutzen bezüglich Reduktion oder Verzögerung der Entwicklung von Diabetes.

In sieben Studien wurde Metformin mit jeweils einem anderen glukosesenkenden Medikament verglichen: drei Studien verglichen Metformin mit Acarbose. Drei Studien verglichen Metformin mit einem Glitazon (wie Pioglitazon). Beim Vergleich von Metformin mit diesen Medikamenten gab es weder einen Vor- oder Nachteil im Hinblick auf die Entwicklung von Diabetes. In einer Studie wurde Metformin mit einem Sulfonylharnstoff (Glimepirid) verglichen. Die Studie berichtete nicht über patientenrelevante Endpunkte.

Allgemein wurde nur spärlich über ernste Nebenwirkungen berichtet. Es starben nur wenige Studienteilnehmende, im Hinblick darauf konnten wir keinen klaren Unterschied zwischen Behandlungs- und Vergleichsgruppen feststellen. Auch konnten wir keinen Vor- oder Nachteil von Metformin in Bezug auf die gesundheitsbezogene Lebensqualität feststellen. Die von uns eingeschlossenen Studien berichteten nicht über Herzinfarkte ohne Todesfolge, Schlaganfälle oder Komplikationen von Diabetes wie Nieren- oder Augenerkrankungen. Nur wenige der eingeschlossenen Studien schätzten die direkten medizinischen Kosten ein. Im Vergleich zu Diät und Bewegung war Metformin teurer. Im Vergleich zu intensiver Diät und Bewegung war Metformin kostengünstiger.

Wir identifizierten 11 noch nicht abgeschlossene Studien, die möglicherweise noch Daten für diesen Review liefern könnten. In künftigen Aktualisierungen unseres Reviews würde der Einbezug dieser Studien die Anzahl der Teilnehmenden um 17.853 Teilnehmenden erweitern.

Künftige Studien sollten mehr patientenrelevante Endpunkte wie Diabetes-Komplikationen untersuchen, insbesondere die Nebenwirkungen der Medikamente. Wir wissen nicht, ob "Prädiabetes" nur ein durch Labormessungen definierter Zustand ist, oder ob er tatsächlich ein reeller Risikofaktor für Diabetes ist. Es ist auch nicht bekannt, ob die Behandlung von "Prädiabetes" zu besseren patientenrelevanten Endpunkten führt.

Vertrauenswürdigkeit der Evidenz

Bei allen eingeschlossenen Studien gab es Probleme hinsichtlich der Art und Weise, wie sie durchgeführt oder berichtet wurden.

Schlussfolgerungen der Autoren: 

Interventionen mit Metformin im Vergleich zu Placebo- bzw. Diät- und Bewegung reduzierte oder verzögerte das Risiko von T2DM bei Personen mit erhöhtem Risiko für die Entwicklung von T2DM (moderate Qualität der Evidenz). Allerdings reduzierte oder verzögerte Metformin im Vergleich zu intensiver Diät und körperlicher Bewegung das Risiko von T2DM nicht (moderate Qualität der Evidenz). Ebenso zeigte die Kombination von Metformin und intensiver Diät und Bewegung im Vergleich zu nur intensiver Diät und Bewegung weder einen Vor- noch einen Nachteil hinsichtlich der Entwicklung von T2DM (sehr niedrige Qualität der Evidenz). Daten über patientenrelevante Endpunkte wie Mortalität, makro- und mikrovaskuläre diabetische Komplikationen und gesundheitsbezogene Lebensqualität waren spärlich oder fehlten.

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Hintergrund: 

Der prognostizierte Anstieg der Typ-2-Diabetes mellitus (T2DM)-Inzidenz könnte weltweit zu erheblichen gesundheitlichen Problemen führen. Es ist nicht bekannt, ob Metformin die Entwicklung von T2DM sowie seine Komplikationen bei Menschen mit erhöhtem Erkrankungsrisiko für T2DM verhindern oder verzögern kann.

Zielsetzungen: 

Beurteilung der Auswirkungen von Metformin auf die Prävention und Verzögerung von T2DM und der damit verbundenen Komplikationen bei Personen mit erhöhtem T2DM-Risiko.

Suchstrategie: 

Wir durchsuchten das Cochrane Central Register of Controlled Trials, MEDLINE, Scopus, ClinicalTrials.gov, die International Clinical Trials Registry Platform der Weltgesundheitsorganisation (WHO) und die Referenzlisten von systematischen Reviews, Artikeln und HTA-Berichten (engl. health technology assesment reports). Wir setzten uns mit Wissenschaftlern der eingeschlossenen Studien in Verbindung, um Auskunft über weitere (geplante) Studien zu erhalten. Der Zeitpunkt der letzten Suche in allen Datenbanken war März 2019.

Auswahlkriterien: 

Inkludiert wurden randomisierte kontrollierte Studien (RCTs) mit Untersuchungszeiträumen von einem Jahr oder mehr in welchen Metformin mit jeglichen pharmakologischen, glukosesenkenden Interventionen, verhaltensverändernden Interventionen, einem Placebo oder einer Standardbehandlung bei Menschen mit eingeschränkter Glukosetoleranz, eingeschränkter Nüchternglukose, mäßig erhöhtem glykiertem Hämoglobin A1c (HbA1c) oder Kombinationen davon verglichen wurden.

Datensammlung und ‐analyse: 

Zwei Review-Autoren lasen alle Abstracts, Volltextartikel und Registereinträge, beurteilten unabhängig voneinander das Risiko für Bias und extrahierten die endpunktbezogenen Daten. Für die statistische Zusammenfassung (Metaanalysen) verwendeten wir ein Random-Effects-Modell und berechneten relatives Risiko bzw. Risiko-Verhältnisse (RRs) für dichotome Endpunkte und Mittelwertdifferenzen (MDs) für kontinuierliche Endpunkte, wobei 95% Konfidenzintervalle (KIs) als Effektmaß verwendet wurden. Um die Vertrauenswürdigkeit der Evidenz zu beurteilen, nutzten wir den GRADE-Ansatz.

Hauptergebnisse: 

Wir schlossen 20 RCTs ein, die 6774 Teilnehmende randomisierten. An einer Studie nahmen 48% aller Teilnehmenden teil. Die Dauer der Intervention variierte in den Studien zwischen einem und fünf Jahren. Wir stuften das Risiko für Bias bezüglich aller Kriterien bei keiner Studie als niedrig ein.

Unsere Hauptendpunktmaße waren Gesamtmortalität, Inzidenz von T2DM, schwere unerwünschte Ereignisse (SAEs), kardiovaskuläre Mortalität, nicht-tödlicher Myokardinfarkt oder Schlaganfall, gesundheitsbezogene Lebensqualität und sozioökonomische Auswirkungen. Die folgenden Vergleiche gaben meist nur einen Bruchteil unserer Hauptendpunkte wieder.
Fünfzehn RCTs verglichen Metformin mit Diät und Bewegung mit oder ohne Placebo: die Gesamtmortalität betrug 7/1353 verglichen mit 7/1480 (RR 1,11, 95% KI 0,41 bis 3,01; P = 0,83; 2833 Teilnehmende, fünf Studien; sehr niedrige Qualität der Evidenz); die Inzidenz von T2DM lag bei 324/1751 versus 529/1881 Teilnehmenden (RR 0,50, 95% KI 0,38 bis 0,65; P < 0.001; 3632 Teilnehmende, 12 Studien; moderate Qualität der Evidenz); die Berichterstattung über SAEs war unzureichend und vielfältig, und eine Metaanalyse konnte nicht durchgeführt werden (berichtete Zahlen waren 4/118 gegenüber 2/191; 309 Teilnehmende; vier Studien; sehr niedrige Qualität der Evidenz); die kardiovaskuläre Mortalität betrug 1/1073 gegenüber 4/1082 (2416 Teilnehmende; zwei Studien; sehr niedrige Qualität der Evidenz). Eine Studie berichtete nach 3,2 Jahren Nachbeobachtung keinen deutlichen Unterschied in Bezug auf die gesundheitsbezogene Lebensqualität (sehr niedrige Qualität der Evidenz). In zwei Studien wurden die direkten medizinischen Kosten pro Teilnehmende für Metformin auf $220 bis $1177 geschätzt, wohingegen die Kosten in der Vergleichsgruppe auf $61 bis $184 geschätzt wurden (2416 Teilnehmende; zwei Studien; niedrige Qualität der Evidenz).

In acht RCTs wurde Metformin mit intensiver Diät und Bewegung verglichen: die Gesamtmortalität betrug 7/1278 gegenüber 4/1272 (RR 1,61, 95% KI 0,50 bis 5,23; P = 0,43; 2550 Teilnehmende, vier Studien; sehr niedrige Qualität der Evidenz); die Inzidenz von T2DM betrug 304/1455 gegenüber 251/1505 (RR 0,80, 95% CI 0,47 bis 1,37; P = 0,42; 2960 Teilnehmende, sieben Studien; moderate Qualität der Evidenz); die Berichterstattung über SAEs war spärlich und eine Metaanalyse konnte nicht durchgeführt werden (eine Studie berichtete 1/44 in der Metformin-Gruppe gegenüber 0/36 in der Gruppe mit intensiver Bewegung und Diät mit SAEs). In einer Studie wurde berichtet, dass in der Metformin-Gruppe 1/1073 Teilnehmende, verglichen mit 2/1079 Teilnehmenden in der Vergleichsgruppe an kardiovaskulären Ursachen starben. Eine Studie berichtete, dass keiner der Teilnehmenden aufgrund von kardiovaskulären Ereignissen starb (sehr niedrige Qualität der Evidenz). In zwei Studien wurden die direkten medizinischen Kosten pro Teilnehmende für Metformin auf $220 bis $1177 geschätzt, wohingegen die Kosten in der Vergleichsgruppe auf $225 bis $3628 geschätzt wurden (2400 Teilnehmende; zwei Studien; sehr niedrige Qualität der Evidenz).

In drei RCTs wurde Metformin mit Acarbose verglichen: die Gesamtmortalität betrug 1/44 gegenüber 0/45 (89 Teilnehmende; eine Studie; sehr niedrige Qualität der Evidenz); die Inzidenz von T2DM betrug 12/147 gegenüber 7/148 (RR 1,72, 95% KI 0,72 bis 4,14; P = 0,22; 295 Teilnehmende; drei Studien; niedrige Qualität der Evidenz); die SAEs lagen bei 1/51 gegenüber 2/50 (101 Teilnehmende; eine Studie; sehr niedrige Qualität der Evidenz).

In drei RCTs wurde Metformin mit Glitazonen verglichen: die Inzidenz von T2DM betrug 9/161 gegenüber 9/159 (RR 0,99, 95% KI 0,41 bis 2,40; P = 0,98; 320 Teilnehmende; drei Studien; niedrige Qualität der Evidenz). Die SAEs lagen bei 3/45 gegenüber 0/41 (86 Teilnehmende; eine Studie; sehr niedrige Qualität der Evidenz).

Drei RCTs verglichen Metformin, intensive Diät und Bewegung mit identischer intensiver Diät und Bewegung: die Gesamtmortalität betrug 1/121 gegenüber 1/120 Teilnehmenden (450 Teilnehmende; zwei Studien; sehr niedrige Qualität der Evidenz); die Inzidenz von T2DM betrug 48/166 gegenüber 53/166 (RR 0,55, 95% KI 0,10 bis 2,92; P = 0,49; 332 Teilnehmende; zwei Studien; sehr niedrige Qualität der Evidenz). In einer Studie wurden die direkten medizinischen Kosten von Metformin in Kombination mit intensiver Diät und körperlicher Bewegung auf $270 pro Teilnehmende geschätzt, verglichen mit $225 in der Vergleichsgruppe (94 Teilnehmende; eine Studie; sehr niedrige Qualität der Evidenz).

Eine Studie mit 45 Teilnehmenden verglich Metformin mit einem Sulfonylharnstoff. Die Studie berichtete über keine patientenrelevanten Endpunkte.

Keiner der Vergleiche enthielt Daten über nicht-tödliche Myokardinfarkte, nicht-tödliche Schlaganfälle oder mikrovaskuläre Komplikationen.

Wir identifizierten 11 noch nicht abgeschlossene Studien, die möglicherweise interessante Daten für diesen Review liefern könnten. In künftigen Aktualisierungen dieses Reviews werden diese Studien die Anzahl Teilnehmender um 17.853 Teilnehmende erweitern.

Anmerkungen zur Übersetzung: 

M. Davia, freigegeben durch Cochrane Deutschland.

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