Oseltamivir und Zanamivir wurden in vielen Ländern bevorratet, um eine saisonale oder pandemische Grippe zu behandeln bzw. ihr vorzubeugen, bevor eine Grippeimpfung verfügbar ist, die an den aktuell zirkulierenden Virustyp angepasst ist. Oseltamivir wird von der Welt- gesundheitsorganisation als notwendiges Medikament eingestuft.
Wie dieser Review durchgeführt wurde
Wir haben unsere Reviews zu den antiviralen Medikamenten Zanamivir und Oseltamivir bei Erwachsenen und Kindern auf den neuesten Stand gebracht und zusammengeführt. Dabei haben wir uns auf die Berichte der Hersteller an die Zulassungsbehörden (klinische Studien- berichte) und die Kommentare dieser Behörden gestützt. Diese Berichte und Kommentare werden im Weiteren als ‘Zulassungsdokumente’ bezeichnet. Klinische Studienberichte sind unveröffentlichte Dokumente, die umfangreiche Daten über Studien enthalten, welche die Grundlage für die Marktzulassung eines Medikamentes sind. Sie enthalten Studienprotokolle, sowie Beschreibungen der Methoden und Ergebnisse. Diese klinischen Studienberichte waren bisher vertraulich und nur den Herstellern und Zulassungsbehörden zugänglich.
Warum diese Vorgehensweise gewählt wurde
In vorherigen Versionen dieses Reviews hatten wir Unstimmigkeiten in den Daten der publizierten Studienberichte, die nicht geklärt werden konnten, sowie einen erheblichen Publikationsbias gefunden. Daher entschieden wir uns, statt der Daten aus den wissen- schaftlichen Artikeln die Dokumente aus den Zulassungsverfahren zu verwenden. Wir hatten Zugang zu Daten der Zulassungsbehörden in Grossbritannien, USA und Japan und der European Medicines Agency (EMA) und zu klinischen Studienberichten der Hersteller (nach einer langwierigen Medienkampagne). Dadurch waren wir in der Lage, die Informationen derjenigen randomisierten, plazebo-kontrollierten Studien zu überprüfen, an denen Erwachsene und Kinder mit bestätigter oder vermuteter Exposition gegenüber natürlich vorkommender Grippe teilgenommen hatten.
Wir kamen aufgrund unserer Auswertung der Zulassungsdokumente (mehr als 160000 Seiten) zum Schluss, dass für viele Studien sowohl das Studiendesign, die Durchführung, die Berichtsqualität als auch die Verfügbarkeit der Daten problematisch waren.
Was wir gefunden haben
In diesem Review wurden die Daten von 46 Studien (20 zu Oseltamivir und 26 zu Zanamivir) berücksichtigt. Im Design vieler eingeschlossener Studien fanden wir Schwachpunkte, weshalb die Ergebnisse nur bedingt vertrauenswürdig sind. Beide Wirkstoffe verkürzen die Dauer von Symptomen einer grippeähnlichen Erkrankung (unbestätigte Influenza-Erkrankung oder sogenannte «Grippe») um weniger als einen Tag. Basierend auf den Daten aller mit Oseltamivir durchgeführten Studien hatte der Wirkstoff keine Auswirkung auf die Zahl der Krankenhausaufnahmen. Für Zanamivir wurde dieser Studienendpunkt nicht erhoben. Die Wirksamkeit bezüglich Lungenentzündung und anderer Grippekomplikationen (wie z.B. Bronchitis, Mittelohrentzündung, Nasennebenhöhlenentzündung) wurde nicht verlässlich erfasst, wie aus den in den Zulassungsdokumenten enthalten Erhebungsbögen ersichtlich ist. In einigen dieser Erhebungsbögen waren die Kriterien für die Diagnose einer Lungenentzündung unzureichend bestimmt. In den Kommentaren der Zulassungsbehörden wurden Probleme mit fehlenden Akteneinträgen während der Nachbeobachtung der Teilnehmer verzeichnet. Bei Kindern mit Asthma gab es keine eindeutige Wirkung bezüglich der Zeit bis zur Besserung der Symptome.
In Studien zur Grippevorbeugung verminderten Oseltamivir und Zanamivir das Risiko einer symptomatischen Grippe sowohl bei Einzelpersonen als auch in Haushalten. Eine Wirksamkeit bezüglich Grippeinfektion ohne Symptome oder grippeähnlicher Erkrankungen ohne Influenza- Infektion konnte nicht nachgewiesen werden. Allerdings können aufgrund der Probleme bei der Durchführung der Studien keine definitiven Schlüsse gezogen werden.
Die Einnahme von Oseltamivir ging sowohl mit Übelkeit und Erbrechen einher als auch mit Kopfschmerzen, Nierenproblemen und psychiatrischen Symptomen. Die letztgenannten drei Nebenwirkungen traten auf, wenn Oseltamivir zur Vorbeugung (Prophylaxe) eingesetzt wurde. Seine Wirkung auf das Herz ist unklar: es vermindert möglicherweise kardiale Symptome, kann aber vermutlich schwere Herzrhythmusstörungen hervorrufen. In Zanamivir-Therapiestudien bei Erwachsenen bestand kein erhöhtes Risiko für (berichtete) Nebenwirkungen. Zu möglichen Nebenwirkungen bei der Behandlung von Kindern mit Zanamivir war die Datenlage dürftig.
Übereinstimmung mit anderen Ergebnissen
Das Fehlen von guter Evidenz dafür, dass beide Wirkstoffe Grippekomplikationen vermindern, stimmt mit den zurückhaltenden Schlussfolgerungen der US Food and Drug Administration (FDA) überein. Die FDA liess lediglich zu, dass die Wirksamkeit beider Medikamente für die Vorbeugung und Behandlung von Grippesymptomen genannt werden darf, nicht jedoch für andere Aspekte (wie die Unterbrechung der Weiterverbreitung des Grippevirus zwischen Personen und die Vorbeugung von Lungenentzündungen). Die FDA beschrieb die allgemeine Wirkung beider Medikamente als ‘mässig’.
Mechanismus der beabsichtigten Wirkung
Alle Ergebnisse legen nahe, dass die reduzierte Immunantwort mit niedrigen Spiegeln von entzündungsfördernden Zytokinen, die durch Oseltamivircarboxylat ausgelöst wird, die Grippesymptomatik vermindert, und dies unabhängig von einer Hemmung der Vermehrung des Grippevirus ist. Eine mögliche hypotherme oder fiebersenkende Wirkung von Oseltamivir als einem Stoff, der das zentrale Nervensystem dämpft, trägt möglicherweise ebenso zur Reduktion der Symptomatik bei. Die Daten, die uns zur Verfügung standen, bestätigen jedoch nicht die Aussage, dass Oseltamivir die Übertragung des Virus unterbricht und Komplikationen vermindert.
Der von den Herstellern angeführte (Influenzavirus-spezifische) Wirkmechanismus passt nicht zur klinischen Evidenz, die eine zentrale Wirkung in mehreren Organsystemen nahelegt.
Cochrane Schweiz