Interventionen zur Vorbeugung eines Delir bei Erwachsenen auf der Intensivstation

Schlussfolgerungen der Autoren: 

Wahrscheinlich gibt es nur einen geringen oder gar keinen Unterschied zwischen Haloperidol und einem Placebo zur Vorbeugung eines Delir auf der Intensivstation, aber es sind weitere Studien erforderlich, um unser Vertrauen in die Ergebnisse zu erhöhen. Es gibt keine ausreichende Evidenz, um die Wirkungen von Physio‐und kognitiven Interventionen auf ein Delir zu bestimmen. Die Wirkungen anderer pharmakologischer Interventionen, von Sedierung, von Umgebungs- und präventiven pflegerischen Interventionen sind unklar und erfordern weitere Untersuchungen in großen multizentrischen Studien. Bei fünf Studien steht noch die Klassifizierung aus, und wir identifizierten 15 laufende Studien, die pharmakologische Interventionen, Beruhigungsmittel, Physio- und Ergotherapie in Kombination oder getrennt sowie Umgebungsinterventionen evaluieren, die die Schlussfolgerungen dieses Review in Zukunft möglicherweise verändern werden.

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Hintergrund: 

Ein Delir ist definiert als eine Störung der Aufmerksamkeit, des Bewusstseins und der Wahrnehmung mit einer verminderten Fähigkeit, die Aufmerksamkeit zu lenken, zu fokussieren, aufrechtzuerhalten und zu verlagern, sowie mit einer verminderten Fähigkeit zur Orientierung in der Umgebung. Schwerkranke Patienten auf der Intensivstation entwickeln häufig ein Delir. Dies kann Patienten und ihre Familien stark beeinträchtigen, da es mit einer erhöhten Sterblichkeit (Mortalität), einer längeren Dauer der künstlichen Beatmung, einem längeren Aufenthalt im Krankenhaus und auf der Intensivstation und langfristigen kognitiven Beeinträchtigungen verbunden ist. Es führt auch zu erhöhten Kosten für die Gesellschaft.

Zielsetzungen: 

Ziel des Reviews war die Bewertung der vorhandenen Evidenz zur Wirkung präventiver Maßnahmen zur Verhinderung eines Delir auf der Intensivstation, der Mortalität im Krankenhaus, der Anzahl delir- und komafreier Tage, der Tage ohne künstliche Beatmung, der Aufenthaltsdauer auf der Intensivstation und der kognitiven Beeinträchtigungen.

Suchstrategie: 

Wir durchsuchten CENTRAL, MEDLINE, Embase, BIOSIS, International Web of Science, Latin American Caribbean Health Sciences Literature, CINAHL von 1980 bis zum 11. April 2018 ohne sprachliche Einschränkungen. Für die Suche in den anderen Datenbanken passten wir die MEDLINE-Suche an. Darüber hinaus überprüften wir Referenzen, durchsuchten wir Literaturstellen und kontaktierten wir Studienautoren, um weitere Studien zu identifizieren. Wir überprüften auch die folgenden Studienregister: Current Controlled Trials; ClinicalTrials.gov; und CenterWatch.com (alle am 24. April 2018).

Auswahlkriterien: 

Wir schlossen randomisierte kontrollierte Studien (RCTs) mit erwachsenen internistischen oder chirurgischen Intensivpatienten ein, die jegliche Intervention zur Delirprävention auf der Intensivstation erhielten. Die Kontrolle konnte die Regelversorgung der Intensivpflege, eine Placebobehandlung oder beides sein. Wir bewerteten die Qualität der Evidenz mit GRADE.

Datensammlung und ‐analyse: 

Wir überprüften die Titel und Abstracts, um offensichtlich irrelevante Studien auszuschließen, und holten vollständige Berichte zu potenziell relevanten Studien ein. Zwei Review-Autoren extrahierten unabhängig voneinander die Daten. Wenn möglich führten wir Metaanalysen durch, andernfalls fassten wir die Daten narrativ zusammen.

Hauptergebnisse: 

Die elektronische Suche ergab 8746 Treffer. Wir schlossen 12 RCTs (3885 Teilnehmende) ein, in denen die Regelversorgung mit den folgenden Interventionen verglichen wurde: üblicherweise verwendete Medikamente (vier Studien); Beruhigungsmittel (vier Studien); Physio‐oder kognitive Therapie oder beides (eine Studie); Umgebungsinterventionen (zwei Studien); und präventive Pflege (eine Studie). Wir fanden 15 laufende Studien und fünf Studien, die noch nicht klassifiziert sind. Die Teilnehmenden waren zwischen 48 und 70 Jahre alt; 48 % bis 74 % waren männlich; der mittlere APACHE-II-Score (Acute Physiology And Chronic Health Evaluation) zur Bewertung der akuten physiologischen and chronischen Gesundheit lag bei 14 bis 28 (Bereich 0 bis 71; höhere Werte entsprechen einer schwereren Erkrankung und einem höheren Sterberisiko). Mit Ausnahme einer Studie wurden alle Teilnehmenden auf internistischen, chirurgischen oder gemischten Intensivstationen künstlich beatmet. Die Studien wiesen insgesamt ein niedriges Risiko für Bias auf. Sechs Studien wiesen ein hohes Risiko für Bias auf, da die für die Erhebung der Ergebnisse zuständigen Personen nicht verblindet waren. Wir berichten über die Ergebnisse für die beiden am häufigsten untersuchten Ansätze zur Delirprävention: pharmakologische Interventionen und eine nicht-pharmakologische Intervention.

Haloperidol versus Placebo (zwei RCTs, 1580 Teilnehmende)

Die Ereignisrate von Delir auf der Intensivstation wurde in einer Studie mit 1439 Teilnehmenden gemessen. Es wurde kein Unterschied zwischen den Gruppen festgestellt (Risiko-Verhältnis (RR) 1,01, 95% Konfidenzintervall (KI) 0,87 bis 1,17) (moderate Qualität der Evidenz). Haloperidol versus Placebo führte weder zu einer Reduktion noch zu einer erhöhten Mortalitätsrate im Krankenhaus, (RR 0,98, 95% KI 0,80 bis 1,22; 2 Studien; 1580 Teilnehmende (moderate Qualität der Evidenz)); der Anzahl der delir- und komafreien Tage, (mittlere Differenz (MD) -0,60, 95% KI -1,37 bis 0.17; 2 Studien, 1580 Teilnehmende (moderate Qualität der Evidenz)); der Anzahl der Tage ohne künstliche Beatmung (Mittelwert 23,8 (MD -0,30, 95% KI -0,93 bis 0,33) 1 Studie; 1439 Teilnehmende, (hohe Qualität der Evidenz)); sowie der Länge des Aufenthalts auf der Intensivstation, (MD 0,18, 95% KI 0,60 bis 0,97); 2 Studien, 1580 Teilnehmende; hohe Qualität der Evidenz). In keiner der Studien wurden kognitive Beeinträchtigungen gemessen. In einer Studie gab es drei schwerwiegende unerwünschte Ereignisse in der Interventionsgruppe und fünf in der Placebogruppe; in der anderen Studie gab es fünf schwerwiegende unerwünschte Ereignisse, und drei Patienten starben, einer in jeder Gruppe. Keines der schwerwiegenden unerwünschten Ereignisse wurde als mit den erhaltenen Interventionen in Zusammenhang stehend beurteilt (moderate Qualität der Evidenz).

Physio‐und kognitive Therapieinterventionen (eine Studie, 65 Teilnehmende)

In der Studie wurde die Delir-Ereignisrate auf der Intensivstation nicht gemessen. Eine Physio- und kognitive Therapieintervention im Vergleich zur Regelversorgung führte weder zu einer Reduktion noch zu einer erhöhten Mortalität im Krankenhaus, (RR 0,94, 95% KI 0,40 bis 2,20, I² = 0; 1 Studie, 65 Teilnehmende; sehr niedrige Qualität der Evidenz); der Anzahl der delir- und komafreien Tage, (MD -2,8, 95% KI -10,1 bis 4.6, I² = 0; 1 Studie, 65 Teilnehmende; sehr niedrige Qualität der Evidenz); der Anzahl der Tage ohne künstliche Beatmung (innerhalb der ersten 28/30 Tage) war im Median 27,4 (IQR 0 bis 29,2) und 25 (IQR 0 bis 28,9); 1 Studie, 65 Teilnehmende; sehr niedrige Qualität der Evidenz; der Länge des Aufenthalts auf der Intensivstation, (MD 1,23, 95% KI -0,68 bis 3,14, I² = 0; 1 Studie, 65 Teilnehmende; sehr niedrige Qualität der Evidenz); sowie der kognitiven Beeinträchtigung gemessen anhand des MMSE: Mini-Mental State Examination, wobei höhere Werte eine bessere Funktion anzeigen (MD 0,97, 95% KI -0,19 bis 2,13, I² = 0; 1 Studie, 30 Teilnehmende; sehr niedrige Qualität der Evidenz); oder gemessen mit dem Dysexecutive-Fragebogen (DEX), wobei niedrigere Werte eine bessere Funktion anzeigen (MD -8,76, 95% KI -19,06 bis 1,54, I² = 0; 1 Studie, 30 Teilnehmende; sehr niedrige Qualität der Evidenz). Bei einem Patienten traten während der Physiotherapie akute Rückenschmerzen auf, die von einer hypotensiven Krise begleitet wurden.

Anmerkungen zur Übersetzung: 

S. Haug, freigegeben durch Cochrane Deutschland

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