Hintergrund
Multiple Sklerose (MS) ist eine chronische Erkrankung, die weltweit über 1.3 Millionen Menschen betrifft. MS ist durch diffuse (auf keinen bestimmten Bereich begrenzte) Schädigungen des zentralen Nervensystems gekennzeichnet, die zu einer Vielfalt körperlicher und kognitiver (geistige Prozesse betreffender) Symptome führen. Eines der am häufigsten auftretenden und beeinträchtigenden Symptome bei MS ist Fatigue (das Gefühl fehlender körperlicher und/oder geistiger Energie, das sich in Müdigkeit, Erschöpfung, Abgeschlagenheit und/oder Antriebslosigkeit äußert). Zurzeit gibt es kein wirksames Medikament zur Verringerung der Fatigue für Menschen mit MS. Eine Behandlung mit Bewegung (körperlicher Aktivität) könnte ein Weg zur Verringerung der Fatigue sein, entweder direkt durch eine Veränderung der Funktionsweise des Körpers, zum Beispiel hormoneller Funktionen, oder indirekt durch vermehrte körperliche Aktivität und eine verbesserte allgemeine Gesundheit.
Studienmerkmale
Wir suchten in wissenschaftliche Datenbanken nach klinischen Studien, die eine Bewegungstherapie mit keiner Bewegungstherapie oder anderen Behandlungen bei Erwachsenen mit MS verglichen. Die Evidenz ist auf dem Stand von Oktober 2014.
Hauptergebnisse
Wir fanden 45 Studien mit 2250 Personen mit MS, die den Effekt einer Bewegungstherapie anhand der (von den Teilnehmern) selbsteingeschätzten Fatigue untersuchten. Wir schlossen 36 Studien mit 1603 Personen mit MS in eine Auswertung (eine statistische Analyse, in der Studienergebnisse rechnerisch zusammengefasst wurden) ein. Zusammengenommen stützten diese 36 Studien die Vorstellung, dass eine Bewegungstherapie eine vielversprechende, nebenwirkungsfreie Behandlung zur Verringerung der Fatigue sein könnte. Dieses Ergebnis scheint vor allem auf Ausdauertraining, gemischtes Training (das heißt ein mit Ausdauertraining durchmischtes Muskelaufbautraining) oder "andere" Trainingsformen (zum Beispiel Yoga oder Tai-Chi) zuzutreffen. Um die Sicherheit der Bewegungstherapie zu untersuchen, zählten wir die berichteten MS-Schübe bei den Personen, die eine Bewegungstherapie durchführten, und bei den Personen in einer Nichtbehandlungs-Gruppe, und fanden keinen bedeutsamen Unterschied.
Qualität der Evidenz
Auch wenn diese Ergebnisse vielversprechend sind ist anzumerken, dass einige der in den Studien angewandten Methoden die Zuverlässigkeit der Ergebnisse beeinträchtigt haben könnten. Die meisten Studien hatten zum Beispiel wenige Teilnehmer und zielten nicht vorrangig auf die Verringerung der Fatigue ab (sondern zum Beispiel auf die Verbesserung der Gehfähigkeit), die nur als zweitrangiges Zielkriterium untersucht wurde. Demgegenüber könnte eine Bewegungstherapie für von starker Fatigue betroffene Menschen mit MS weniger praktikabel (durchführbar) sein. Zudem waren die Berichterstattung und Definitionen von MS-Schüben insgesamt mangelhaft und uneinheitlich. Hochwertige zukünftige Forschungsarbeiten sind erforderlich, um die Durchführbarkeit, die Effekte und Wirkmechanismen der Bewegungstherapie aufzuklären. Zukünftige Studien dürften von einer einheitlichen Definition von Fatigue profitieren und sollten nachfolgend die gezielte Messung der Fatigue zum Ziel haben.
C. Braun, H. Greuel, Koordination durch Cochrane Schweiz