Welcher Blutzuckerspiegel ist optimal für die Therapie von schwangeren Frauen mit Schwangerschaftsdiabetes?

Worum geht es?

Bis zu einem Viertel der schwangeren Frauen entwickelt, abhängig von ihrer ethnischen Herkunft und den angewandten Diagnosestandards, einen Schwangerschaftsdiabetes (Gestationsdiabetes mellitus, GDM). Wenn der Blutzucker während der Schwangerschaft bestimmte Werte übersteigt, sprechen Fachleute von Gestationsdiabetes. GDM ist mit einem erhöhten Risiko für die Entstehung von Bluthochdruck und Eiweiß im Urin während der Schwangerschaft, bekannt als Präeklampsie, verbunden. Betroffene Frauen haben ein höheres Risiko für eine Kaiserschnittgeburt und eine postnatale Depression sowie für Typ-2-Diabetes und Herz-Kreislauf-Erkrankungen im späteren Leben. In der Regel normalisiert sich der hohe Blutzuckerspiegel, der mit GDM einhergeht, nach der Geburt wieder. Betroffene Frauen haben aber ein erhöhtes Risiko, bei weiteren Schwangerschaften erneut an Schwangerschaftsdiabetes zu erkranken. Säuglinge, deren Mütter an Gestationsdiabetes (GDM) leiden, haben ein gesteigertes Risiko für ein Geburtsgewicht über 4000 Gramm. Zudem besteht bei diesen Neugeborenen eine erhöhte Wahrscheinlichkeit für Geburtstraumata aufgrund ihrer Größe sowie für die Entwicklung von Atemproblemen nach der Geburt. Diese Babys haben auch ein höheres Risiko für spätere Fettleibigkeit und Typ-2-Diabetes.

Warum ist dieser Review wichtig ?

Frauen mit GDM werden mit dem Ziel behandelt, den ihren hohen Blutzuckerspiegel zu kontrollieren und die Risiken eines GDM für die Mutter und das Kind zu verringern. Die Überwachung des Blutzuckerspiegels erfolgt durch Messung der Blutzuckerkonzentration im Blut. So soll sichergestellt werden, dass der Blutzuckerwert innerhalb eines vordefinierten Bereichs liegt. In der Regel erfolgt die Ermittlung der Blutzuckerwerte, indem die Mutter durch einen Stich in den Finger einen Bluttropfen gewinnt und diesen auf einen Teststreifen aufbringt. Dieser Teststreifen wird dann in ein kleines Messgerät (Glukometer) eingelegt, welches den Zuckergehalt im Blut misst. Der Blutzuckermesswert informiert die Schwangere über ihren aktuellen Blutzuckerspiegel und dient als Richtschnur für die Behandlung, zum Beispiel hinsichtlich der benötigten Insulindosis vor den Mahlzeiten. Der optimale Blutzuckerspiegel, der bei schwangeren Frauen mit neu festgestelltem Schwangerschaftsdiabetes (GDM) zur Steuerung der Behandlung angestrebt werden sollte, ist jedoch derzeit unklar.

Welche Evidenz fanden wir?

Dies ist die Aktualisierung eines 2016 veröffentlichten Reviews. Wir suchten am 26. September 2022 nach randomisierten kontrollierten Studien (Studien, bei der die Teilnehmenden nach dem Zufallsprinzip einer von zwei oder mehr Behandlungsgruppen zugewiesen werden), in denen verschiedene Blutzuckerbereiche bei Frauen mit GDM verglichen und die Auswirkungen auf die Gesundheit von Mutter und Kind untersucht wurden. In dieser überarbeiteten Übersichtsarbeit stießen wir auf neun Berichte, die sich auf drei unterschiedliche Studien beziehen. Insgesamt haben wir vier Studien eingeschlossen. Jede Studie verglich zwei Blutzuckerbereiche, einen niedrigeren Blutzuckerzielwert und einen höheren Blutzuckerzielwert, und berichtete über die gesundheitlichen Folgen für die schwangere Frau und ihr Baby.

Wir haben festgestellt, dass das Risiko für die Mutter, während der Schwangerschaft Bluthochdruck und Eiweiß im Urin zu entwickeln, bei einem niedrigeren Blutzuckerzielwert möglicherweise erhöht ist. Wir haben auch festgestellt, dass es unwahrscheinlich ist, dass es einen Unterschied zwischen den Blutzuckerbereichen in Bezug auf die Kaiserschnittrate oder die Einleitung der Wehen gibt. Die Studien lieferten keine Daten zu den folgenden Ergebnissen für die Mütter: spätere Entwicklung eines Typ-2-Diabetes bei der Mutter, Trauma des Dammes, Rückkehr zum Gewicht vor der Schwangerschaft und postnatale Depression.

Wir sind uns nicht sicher, ob es einen Unterschied im Sterberisiko für das Baby gibt, da es in den Studien nur sehr wenige Todesfälle gab. Der Blutzuckerspiegel und Körperfettanteil des Babys ist wahrscheinlich nicht unterschiedlich. Die Studien lieferten keine Daten zu den anderen Hauptergebnissen: langfristiges Diabetesrisiko des Babys und Risiko einer Behinderung des Babys.

Niedrigere Blutzuckerzielwerte führen wahrscheinlich zu einem verstärkten Einsatz von Medikamenten (Insulin, Metformin oder Sulfonylharnstoffe) und verringern möglicherweise die Therapietreue erheblich.

Einschränkungen der Evidenz

Die Ergebnisse sind mit einer gewissen Unsicherheit behaftet, weil es an Informationen fehlt, wie manche Studien durchgeführt wurden. Außerdem stammen manche Ergebnisse nur aus einer einzigen Studie.

Was bedeutet das?

Insgesamt gibt es noch nicht genügend Evidenz aus randomisierten Studien, um den besten Blutzuckerbereich zur Verbesserung der Gesundheit von schwangeren Frauen mit GDM und ihren Babys zu bestimmen. Derzeit gibt es keine Hinweise darauf, dass niedrigere Blutzuckerzielwerte einen größeren Nutzen haben. Derzeit laufen zwei noch nicht abgeschlossene Studien dazu. Zur Steuerung der Behandlung werden mehr qualitativ hochwertige Studien benötigt, die verschiedene Zielwerte für den Blutzuckerspiegel vergleichen und sowohl die kurz- als auch die langfristigen Gesundheitsergebnisse für Frauen und ihre Babys untersuchen. Die Studien sollten sowohl die Erfahrungen der Frauen berücksichtigen als auch eine Bewertung der Kosten für Gesundheitsdienstleistungen vornehmen.

Schlussfolgerungen der Autoren: 

Dieser Review basiert auf vier Studien (1731 Frauen) mit einem insgesamt unklaren Risiko für Bias. Die Studien lieferten Daten zu den meisten primären Endpunkten und deuten darauf hin, dass strengere Blutzuckergrenzwerte möglicherweise das Risiko für hypertensive Störungen in der Schwangerschaft erhöhen. Das Risiko der Geburt eines Kindes, das für das Schwangerschaftsalter zu groß ist, und die perinatale Sterblichkeit sind möglicherweise zwischen den Gruppen ähnlich. Strengere Blutzuckergrenzwerte verringern möglicherweise den zusammengesetzten Endpunkt aus Tod plus schwere Morbidität des Kindes. Die KIs für diese Endpunkte sind jedoch breit, was sowohl einen Nutzen als auch einen Schaden einschließt.

Es gibt nach wie vor nur begrenzte Evidenz hinsichtlich des Nutzens verschiedener Blutzuckergrenzwerte für Frauen mit GDM, um die negativen Wirkungen auf die Gesundheit von Mutter und Kind zu minimieren. Die Glucose-Zielwertempfehlungen der internationalen Berufsverbände sind sehr unterschiedlich und beruhen derzeit auf einem Konsens, da es an Evidenz von hoher Vertrauenswürdigkeit fehlt.

Es sind weitere qualitativ hochwertige Studien erforderlich, die sowohl die kurz- als auch die langfristigen gesundheitlichen Endpunkte für die Frauen und ihre Babys bewerten, die Erfahrungen der Frauen einbeziehen und die Kosten für das Gesundheitswesen bewerten sollten, um die aktuellen Ergebnisse zu bestätigen. Derzeit laufen zwei noch nicht abgeschlossene Studien dazu.

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Hintergrund: 

Gestationsdiabetes mellitus (GDM) hat sowohl für die Mutter als auch für ihr Kind kurz- und langfristig erhebliche Auswirkungen. GDM ist definiert als eine Kohlenhydratunverträglichkeit, die zu einer Hyperglykämie führt, oder eine Glukoseintoleranz jeglichen Grades, die erstmals während der Schwangerschaft ab der 24. Schwangerschaftswoche erkannt wird und die nach der Geburt des Kindes wieder verschwindet. Die Rate an GDM kann je nach Bevölkerungsgruppe und diagnostischen Kriterien bis zu 25 % betragen und steigt insgesamt weltweit an. Die Empfehlungen für die Behandlung von Frauen mit GDM sind international sehr unterschiedlich und beruhen eher auf Konsens als auf hochwertigen Studien.

Zielsetzungen: 

Ziel des Reviews war es, die Wirkung unterschiedlicher Blutzuckergrenzwerte in der Diagnostik bei schwangeren Frauen mit GDM auf die Endpunkte der Gesundheit von Mutter und Kind zu beurteilen.

Suchstrategie: 

Wir durchsuchten das Cochrane Pregnancy and Childbirth Group's Trials Register, ClinicalTrials.gov, die World Health Organization International Clinical Trials Registry Platform (26. September 2022) und Referenzlisten der gefundenen Studien.

Auswahlkriterien: 

Wir schlossen randomisierte kontrollierte Studien (RCTs), cluster-randomisierte-Studien und quasi-randomisierte Studien ein. Studien waren einschlussfähig, wenn Frauen während der Schwangerschaft einen GDM diagnostiziert bekamen und in der Studie strengere und weniger strenge Blutzuckerzielwerte während der Behandlung verglichen wurden. Wir definierten strengere Blutzuckerzielwerte als niedrigere numerische Blutzuckerkonzentration und weniger strenge Blutzuckerzielwerte als höhere numerische Blutzuckerkonzentration.

Datensammlung und ‐analyse: 

Bei der Datenerhebung, der Bewertung des Risikos für Bias und der Analyse der Ergebnisse wurden die üblichen Cochrane-Methoden angewandt. Zwei Autor*innen bewerteten unabhängig voneinander die Eignung hinsichtlich Einschluss in das Review, das Risiko für Bias und extrahierten die Daten für die vier eingeschlossenen Studien. Wir bewerteten die Vertrauenswürdigkeit der Evidenz für ausgewählte Endpunkte anhand des GRADE-Ansatzes. Zu den primären mütterlichen Endpunkten gehörten hypertensive Schwangerschaftserkrankungen und die spätere Entwicklung eines Typ-2-Diabetes. Zu den primären Endpunkten bei Säuglingen gehörten die perinatale Sterblichkeit, LGA-Neugeborene (large for gestational age), eine Kombination aus Sterblichkeit oder schwerer Morbidität und eine neurosensorische Behinderung.

Hauptergebnisse: 

Es handelt sich um eine Aktualisierung eines früheren Reviews, welches 2016 abgeschlossen wurde. Wir schlossen vier RCTs ein (mit Berichten über 1731 Frauen), die strengere Blutzuckergrenzwerte mit weniger strengen Blutzuckergrenzwerten bei Frauen mit diagnostiziertem GDM verglichen. Bei drei Studien handelte es sich um RCTs im Parallelgruppendesign und bei einer Studie um eine Stepped-Wedge-Cluster-RCT. Die Studien wurden in Kanada, Neuseeland, Russland und den USA durchgeführt. Das Bias-Risiko wurde insgesamt als unklar eingestuft. Zwei Studien wurden nur in Form eines Abstracts veröffentlicht. Die in den Studien verwendeten strengen Blutzuckerziele lagen zwischen ≤ 5,0 und 5,1 mmol/l für den Nüchtern-Plasmaglukosegehalt und ≤ 6,7 und 7,4 mmol/l postprandial. Die in den eingeschlossenen Studien verwendeten weniger strengen Blutzuckerziele lagen zwischen < 5,3 und 5,8 mmol/l für den Nüchtern-Plasmaglukosegehalt und < 7,8 und 8,0 mmol/l postprandial.

Die Evidenz für die mütterlichen Endpunkte bei strengeren Blutzuckerzielen verglichen mit weniger strengen Blutzuckerzielen deutet darauf hin, dass es eine mögliche Zunahme an hypertensiven Schwangerschaftserkrankungen gibt (Risikoverhältnis (RR) 1,16, 95% Konfidenzintervall (KI) 0,80 bis 1,69, 2 Studien, 1491 Frauen; Evidenz von niedriger Vertrauenswürdigkeit). Das 95 % KI ist jedoch breit und umfasst sowohl Nutzen als auch Schaden. Strengere Blutzuckerziele führen im Vergleich zu weniger strengen Blutzuckerzielen wahrscheinlich zu einem geringen bis zu gar keinem Unterschied bei Kaiserschnittraten (RR 0,98, 95% KI 0,82 bis 1,17, 3 Studien, 1662 Frauen; moderate Vertrauenswürdigkeit der Evidenz) oder den Raten für die Einleitung von Wehen (RR 0,96, 95% KI 0,78 bis 1,18, 1 Studie, 1096 Frauen; moderate Vertrauenswürdigkeit der Evidenz). Es wurden keine Daten zu den Endpunkten der späteren Entwicklung von Typ-2-Diabetes, Dammtraumata, Rückkehr zum Ausgangsgewicht vor der Schwangerschaft und postnatale Depression berichtet.

Bei den Endpunkten für Säuglinge war es schwierig festzustellen, ob es einen Unterschied bei der perinatalen Sterblichkeit gab (RR nicht abschätzbar, 2 Studien, 1499 Säuglinge; niedrige Vertrauenswürdigkeit der Evidenz), und es gab wahrscheinlich keinen Unterschied im Auftreten von LGA-Neugeborenen (RR 0,96, 95% KI 0,72 bis 1,29, 3 Studien, 1556 Säuglinge; moderate Vertrauenswürdigkeit der Evidenz). Die Evidenz deutet auf eine mögliche Verringerung der zusammengesetzten Mortalität oder schwerwiegenden Morbidität bei strengerer Blutzuckerkontrolle hin (RR 0,84, 95% KI 0,55 bis 1,29, 3 Studien, 1559 Säuglinge; niedrige Vertrauenswürdigkeit der Evidenz). Das 95% KI ist jedoch breit und umfasst sowohl Nutzen als auch Schaden. Bei der Hypoglykämie bei Säuglingen gibt es wahrscheinlich kaum Unterschiede zwischen den Gruppen (RR 0,92, 95% KI 0,72 bis 1,18, 3 Studien, 1556 Säuglinge; moderate Vertrauenswürdigkeit der Evidenz). Eine strengere Kontrolle des Blutzuckerspiegels verringert möglicherweise nicht Adipositas bei Säuglingen von Frauen mit GDM im Vergleich zu einer weniger strengen Kontrolle (Mittelwertdifferenz -0,62 %, 95 % KI -3,23 bis 1,99, 1 Studie, 60 Säuglinge; niedrige Vertrauenswürdigkeit Evidenz). Allerdings bedeutet das breite KI, dass es eine erhebliche Unsicherheit gibt. Wir haben keine Daten zu der langfristigen Entwicklung von Diabetes oder zu neurosensorischen Einschränkungen gefunden.

Frauen, die einer strengeren Blutzuckerkontrolle unterzogen wurden, erhielten im Vergleich zu Frauen, die einer weniger strengen Blutzuckerkontrolle unterzogen wurden, häufiger eine pharmakologische Therapie (RR 1,37, 95% KI 1,17 bis 1,59, 4 Studien, 1718 Frauen). Eine strengere Blutzuckerkontrolle verringerte die Therapietreue im Vergleich zu einer weniger strengen Blutzuckerkontrolle (RR 0,41, 95% KI 0,32 bis 0,51, 1 Studie, 395 Frauen).

Insgesamt reichte die nach GRADE bewertete Vertrauenswürdigkeit der Evidenz von niedrig bis moderat, wobei sie in erster Linie aufgrund des Risikos für Bias und Ungenauigkeit herabgestuft wurde.

Anmerkungen zur Übersetzung: 

T. Böhmerle, B. Schindler, freigegeben durch Cochrane Deutschland

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