Systemische Kortikosteroide zur Behandlung von radikulären und nicht-radikulären Kreuzschmerzen

Kernaussagen

Bei Kreuzschmerzen mit radikulärer Ausstrahlung:

- Systemische Kortikosteroide haben möglicherweise kurzfristig einen geringfügigen Nutzen in Bezug auf die Schmerzen und die Funktionsfähigkeit und verbessern möglicherweise die Funktionsfähigkeit für einige Zeit nach der Behandlung (langfristige Nachbeobachtung).

- Auch wenn ihr Nutzen nur geringfügig zu sein scheint, sind systemische Kortikosteroide möglicherweise dennoch nützlich, weil sie bei kurzzeitiger Anwendung nur wenige Nebenwirkungen haben sowie weithin verfügbar und kostengünstig sind. Sie tragen wahrscheinlich nicht zur Vermeidung von Operationen bei.

- Es ist unklar, ob sich die Wirkungen von systemischen Kortikosteroiden in Abhängigkeit von der Beschwerdedauer unterscheiden, weil die optimale Dosis und Dauer der Behandlung bei radikulären Kreuzschmerzen nicht bekannt ist. Die Vermeidung der Gabe höherer Dosen verringert möglicherweise das Risiko für unerwünschte Wirkungen.

Bei nicht-radikulären Kreuzschmerzen und Spinalkanalstenosen:

- Der Nutzen von systemischen Kortikosteroiden ist unklar.

Was sind Kreuzschmerzen und wie werden sie behandelt?

Systemische Kortikosteroide sind entzündungshemmende Medikamente, die im gesamten Körper wirken. Bei Menschen mit radikulären Kreuzschmerzen (Ischialgien bzw. Kreuzschmerzen mit Beinschmerzen, die auf einen eingeklemmten Nerv im Rücken, typischerweise durch einen Bandscheibenvorfall oder eine Bandscheibenvorwölbung, zurückgeführt werden) können Kortikoide möglicherweise die Schmerzen lindern, indem sie die Schwellung und die damit verbundenen Kompression durch den Bandscheibenvorfall oder die Bandscheibenvorwölbung verringern und so den Druck auf die betroffenen Nerven verringern. Andere Arten von Kreuzschmerzen wie z. B. "nicht-radikuläre" (d.h. Schmerzen ohne Nervenbeteiligung) oder Kreuz- und Beinschmerzen aufgrund einer Spinalstenose (einer Verengung des Wirbelkanals), können möglicherweise ebenfalls eine entzündliche Komponente aufweisen, die auf systemische Kortikosteroide ansprechen könnte.

Wie gingen wir vor?

Wir suchten in medizinischen Datenbanken nach klinischen Studien, in denen Kortikosteroide mit einem Placebo (einer Scheinbehandlung) oder einer Kortikosteroid-freien Behandlung bei Erwachsenen mit Kreuzschmerzen verglichen wurden. Wir verglichen die Ergebnisse und fassten sie zusammen und bewerteten die Vertrauenswürdigkeit der Evidenz anhand von Faktoren wie den Methoden und der Größe der Studien.

Was fanden wir?

Wir fanden 13 Studien mit 1.047 Personen. Sechs Studien wurden in den USA, vier in Europa, eine in Australien, eine in Brasilien und eine im Iran durchgeführt. In neun Studien wurden Personen mit radikulären Kreuzschmerzen untersucht, in zwei Studien Personen mit nicht-radikulären Kreuzschmerzen und in zwei Studien Personen mit einer Spinalkanalstenose. In fünf Studien waren die Kreuzschmerzen von kurzer Dauer, in den anderen Studien waren sie von längerer oder unterschiedlicher Dauer. Das Durchschnittsalter der Teilnehmenden an den Studien lag zwischen 36 und 47 Jahren, mit Ausnahme der Studien zur Spinalkanalstenose, bei denen das Durchschnittsalter bei 58 Jahren lag. Die Schmerzwerte vor der Behandlung lagen zwischen 6,6 und 9,0 Punkten auf einer Skala von 0 bis 10. Die Dosis und Dauer der Behandlung mit systemischen Kortikosteroiden oder einem Placebo unterschieden sich zwischen den Studien.

Hauptergebnisse

Bei radikulären Kreuzschmerzen scheinen systemische Kortikosteroide kurzfristig eine geringfügige Schmerzlinderung zu bewirken und die Wiederaufnahme normaler Aktivitäten zu ermöglichen. Langfristig können sie möglicherweise die Fähigkeit der Betroffenen zur Ausübung normaler Aktivitäten geringfügig verbessern. Systemische Kortikosteroide verringern wahrscheinlich nicht die Wahrscheinlichkeit einer Operation zur Entfernung des vorgefallenen oder vorgewölbten Bandscheibengewebes und hatten in den Studien keine Auswirkungen auf die Lebensqualität.

Bei nicht-radikulären Kreuzschmerzen und Kreuzschmerzen aufgrund einer Spinalkanalstenose war die Wirkung der systemischen Kortikosteroide unklar oder deutete auf keinen Nutzen hin.

In den Dosen, die in den Studien verabreicht wurden, schienen die systemischen Kortikosteroide keine schwerwiegenden schädlichen Wirkungen zu haben, jedoch war die Evidenz hierfür begrenzt.

Was schränkt die Evidenz ein?

Bei radikulären Kreuzschmerzen haben wir ein moderates Vertrauen in die kurzfristigen Wirkungen auf die Schmerzen und die Funktionsfähigkeit, die langfristige Wirkung auf die Funktionsfähigkeit (allerdings auf der Grundlage nur einer Studie), die Wahrscheinlichkeit einer Operation und die kurzfristige Wirkung auf die Lebensqualität. Bei Spinalkanalstenosen haben wir nur in die kurzfristigen Wirkungen auf die Schmerzen und die Funktionsfähigkeit ein moderates Vertrauen. Für andere Zeit- und Endpunkte sowie für nicht-radikuläre Kreuzschmerzen haben wir wenig Vertrauen in die Evidenz. Zu den Faktoren, die das Vertrauen in die Ergebnisse minderten, zählten Schwächen in der methodischen Gestaltung der Studien (die Patienten wurden den Behandlungen nicht nach dem Zufallsprinzip zugeteilt, viele Patienten brachen die Studie ab oder es gab große Unterschiede zwischen den Patienten, die den verschiedenen Behandlungen zugeteilt wurden), eine zu geringe Zahl von Studien oder Teilnehmenden, um sich der Ergebnisse sicher sein zu können, sowie Unterschiede zwischen den Studien in Bezug auf ihre Ergebnisse und Methoden.

Für Menschen mit radikulären Kreuzschmerzen bedarf es Studien, in denen die optimale Dosis und Dauer einer Behandlung mit systemischen Kortikosteroiden, mögliche Unterschiede in der Wirkung in Abhängigkeit von der Beschwerdedauer sowie der Bedarf für eine bildgebende Diagnostik zur Bestätigung der Diagnose einer vorgewölbten oder vorgefallenen Bandscheibe vor der Gabe von systemischen Kortikosteroiden ermittelt wird. Außerdem bedarf es Studien, um die Wirkungen von systemischen Kortikosteroiden auf die Lebensqualität, langfristige Ergebnisse und schädliche Wirkungen zu klären.

Für Menschen mit nicht-radikulären Kreuzschmerzen oder einer Spinalkanalstenose wären Studien hilfreich, in denen das Vorliegen einer entzündlichen Komponente bei einigen der Patienten ermittelt wird, um hieraus den Bedarf an hochwertigen klinischen Studien zu ermitteln und Kenntnisse darüber zu gewinnen, welche Personen in diese eingeschlossen werden sollten.

Wie aktuell ist die vorliegende Evidenz?

Die Evidenz in diesem Review ist auf dem Stand von September 2021.

Schlussfolgerungen der Autoren: 

Systemische Kortikosteroide scheinen bei Menschen mit Kreuzschmerzen und radikulärer Ausstrahlung, die nicht auf eine Spinalkanalstenose zurückzuführen sind, kurzfristig eine leichte Verbesserung der Schmerzen und der Funktion zu bewirken. Sie könnten die langfristige Funktion leicht verbessern. Die Wirkung von systemischen Kortikosteroiden bei Menschen mit nicht radikulären Kreuzschmerzen ist unklar, bei Spinalkanalstenose sind sie wahrscheinlich unwirksam. In den Dosen, die in den Studien verabreicht wurden, scheinen systemische Kortikosteroide keine schwerwiegenden schädlichen Wirkungen zu haben, jedoch war die Evidenz hierfür begrenzt.

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Hintergrund: 

Kortikosteroide sind Medikamente mit entzündungshemmenden und immunsuppressiven Eigenschaften. Systemische Kortikosteroide werden in oraler, intravenöser oder intramuskulärer Verabreichung zur Behandlung verschiedener Arten von Kreuzschmerzen eingesetzt, darunter radikuläre Rückenschmerzen (nicht aufgrund einer Spinalkanalstenose), nicht-radikuläre Rückenschmerzen und Spinalkanalstenose. Es besteht jedoch Unklarheit über den Nutzen und Schaden von systemischen Kortikosteroiden bei Kreuzschmerzen.

Zielsetzungen: 

Für die Bewertung des Nutzens und Schadens von systemischen Kortikosteroiden im Vergleich zu Placebo oder keinem Kortikosteroid bei radikulären Kreuzschmerzen, nicht-radikulären Kreuzschmerzen und symptomatischer Spinalkanalstenose bei Erwachsenen,

Suchstrategie: 

Wir nutzten die üblichen, umfangreichen Cochrane Suchmethoden. Die Suche ist auf dem Stand von August 2021.

Auswahlkriterien: 

Wir schlossen randomisierte und quasi-randomisierte Studien bei Erwachsenen zu systematischen Kortikosteroiden im Vergleich zu Placebo oder keinem Kortikosteroid ein.

Datensammlung und ‐analyse: 

Wir verwendeten die Standardmethoden von Cochrane. Die wichtigsten Ergebnisse bezogen sich auf Schmerzen, Funktion, Notwendigkeit eines chirurgischen Eingriffs, schwerwiegende unerwünschte Wirkung und Vorliegen einer Hyperglykämie. Nachrangige Ergebnisse waren Lebensqualität, Behandlungserfolg, nicht schwerwiegende unerwünschte Ereignisse und Abbruch der Behandlung aufgrund unerwünschter Ereignisse. Der GRADE-Ansatz wurde genutzt, um die Vertrauenswürdigkeit der Evidenz zu beurteilen.

Hauptergebnisse: 

Dreizehn Studien mit 1047 Teilnehmenden erfüllten die Einschlusskriterien. Neun Studien umfassten Teilnehmende mit radikulären Kreuzschmerzen, zwei Studien mit Kreuzschmerzen und zwei Studien mit Spinalkanalstenose. In allen Studien wurden die Teilnehmenden bezüglich der Einnahme von systemischen Kortikosteroiden verblindet. In sieben Studien bestand ein geringes Risiko für Bias, in 10 Studien war das Risiko unklar und in einer Studie bestand ein hohes Risiko für Bias. Zwei Studien hatten ein hohes Risiko für Verzerrung durch Studienabbrechende. Dosis und Dauer der systemischen Kortikosteroidtherapie variierten.

Kreuzschmerzen mit radikulärer Ausstrahlung

Bei Kreuzschmerzen mit radikulärer Ausstrahlung deutet die Evidenz mit moderater Sicherheit darauf hin, dass systemische Kortikosteroide die Schmerzen im Vergleich zu Placebo bei kurzfristiger Nachbeobachtung wahrscheinlich leicht verringern (mittlerer Unterschied (MD) 0,56 Punkte besser, 95% Konfidenzintervall (CI) 1,08 bis 0,04 auf einer Skala von 0 bis 10) und die Wahrscheinlichkeit einer Verbesserung der Schmerzen bei der kurzfristigen Nachbeobachtung leicht erhöhen (Risikoverhältnis (RR) 1,21, 95% CI 0,88 bis 1,66; absoluter Effekt 5% besser (95% CI 5% schlechter bis 15% besser).

Systemische Kortikosteroide verbessern die Funktion bei kurzfristiger Nachbeobachtung und Analyse kontinuierlicher Outcome-Parameter möglicherweise nicht (standardisierte mittlere Differenz 0,14 besser; Bereich 0,49 besser bis 0,21 schlechter). Bei Betrachtung als binären Parameter, erhöhen sie wahrscheinlich die Wahrscheinlichkeit einer Funktionsverbesserung bei kurzfristiger Nachbeobachtung (RR 1,52, 95% CI 1,22 bis 1,91; absoluter Effekt 19% besser, 95% CI 8% besser bis 30% besser). Letzteres beschreibt nur, ob eine Funktionsverbesserung erreicht werden kann oder nicht, ungeachtet des Ausmaßes der Verbesserung. Systemische Kortikosteroide waren im Vergleich zu Placebo mit einer größeren Funktionsverbesserung bei langfristiger Nachbeobachtung (MD -7,40, 95% CI -12,55 bis -2,25 auf dem Oswestry Disability Index von 0 bis 100) und einer größeren Wahrscheinlichkeit einer Funktionsverbesserung (RR 1,29, 95% CI 1,06 bis 1,56) verbunden, basierend auf einer einzigen Studie. Es gab keinen Unterschied hinsichtlich der Wahrscheinlichkeit einer Operation (RR 1,00, 95% CI 0,68 bis 1,47).

Die vorhandene Evidenz legt nahe, dass systemische Kortikosteroide (verabreicht als Einzeldosis oder als Kurztherapie) nicht mit einem erhöhten Risiko für unerwünschte Ereignisse, schwerwiegende unerwünschte Ereignisse, Abbruch der Behandlung aufgrund unerwünschter Ereignisse oder Hyperglykämie verbunden sind. Die Schätzungen waren jedoch ungenau, da einige Studien keine Angaben zu den Schäden machten und die Angaben zu den Schäden in den Studien, die Daten berichteten, suboptimal waren. Zu den Einschränkungen gehörten die Variabilität zwischen den Studien in Bezug auf die Interventionen (z. B. verwendetes Kortikosteroid, Dosis und Dauer der Behandlung), die klinischen Rahmenbedingungen und die Teilnehmenden (z. B. Dauer der Symptome, Diagnosekriterien); der begrenzte Nutzen von Subgruppenanalysen aufgrund der geringen Anzahl von Studien; methodische Einschränkungen oder suboptimale Berichterstattung über die Methoden in einigen Studien; und die zu geringe Anzahl von Studien, um eine formale Bewertung hinsichtlich Publikationsverzerrungen mithilfe von grafischen oder statistischen Tests für kleine Stichprobeneffekte vorzunehmen.

Nicht-radikuläre Kreuzschmerzen

Die Evidenz zu systemischen Kortikosteroiden im Vergleich zu Placebo bei nicht-radikulären Schmerzen waren begrenzt und deuteten darauf hin, dass systemische Kortikosteroide kurzfristig mit etwas stärkeren Schmerzen, aber einer etwas besseren Funktion verbunden sein könnten.

Spinalkanalstenose

Bei der Spinalkanalstenose deutet die begrente Evidenz darauf hin, dass systemische Kortikosteroide wahrscheinlich nicht wirksamer sind als Placebo, was die kurzfristigen Schmerzen oder die Funktion betrifft.

Anmerkungen zur Übersetzung: 

B. Schindler, T. Brugger, freigegeben durch Cochrane Deutschland

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