Fragestellung
Das androgenitale Syndrom (AGS), das durch einen 21-Hydroxylasemangel verursacht wird, wird bei Kindern und Erwachsenen mit einer Steroidersatztherapie behandelt. Wir haben uns die Evidenz der Wirksamkeit der unterschiedlichen Therapien und deren Sicherheit angesehen.
Hintergrund
AGS ist eine genetische Störung der Nebennieren, die den allgemeinen Gesundheitszustand, das Wachstum und die Entwicklung beeinträchtigt. Die Nebennieren befinden sich oberhalb der Nieren und produzieren die Hormone Cortisol und Aldosteron. Cortisol unterstützt die Regulierung des Blutzuckers und Blutdrucks, während Aldosteron zur Kontrolle der Salzkonzentration im Blut benötigt wird. Die häufigste AGS-Form ist der 21-Hydroxylasemangel (über 90 % aller Fälle). Wenn ein Kind an dieser AGS-Form erkrankt ist, können die Nebennieren nicht mehr ausreichend Cortisol und Aldosteron produzieren. Wenn die Nebenniere versucht, diesen Mangel auszugleichen, kommt es zu einer Überproduktion von Adrogenen (Steroidhormone, welche die Entwicklung und Erhaltung von männlichen Merkmalen regulieren). Cortisol-ähnliche Steroidmedikamente werden als Cortisol-Ersatz verwendet und Fludrocortisone (Aldosteron-ähnliche Hormone) gelten als Standardbehandlung bei AGS aufgrund eines 21-Hydroxylasemangels.
Es gibt viele verschiedene Verabreichungsschemata für Steroidersatztherapien, z. B. einmal, zweimal, dreimal, mehr als dreimal pro Tag und unterschiedliche Rezepturen, wie modifizierte Wirkstofffreisetzung von Hydrocortison oder eine 24-stündige, zirkadiane Dauerinfusion von Hydrocortison unter die Haut. Wir wollten herausfinden, welche Behandlung bei AGS aufgrund eines 21-Hydroxylasemangels bei Kindern und Erwachsenen wirksamer ist.
Recherchedatum
Die Evidenz ist auf dem Stand vom: 24. Juni 2019.
Studienmerkmale
Der Review besteht aus fünf Studien (sechs Referenzen), in denen verschiedene Steroidersatztherapien bei 101 Menschen mit AGS aufgrund eines 21-Hydroxylasemangels verglichen wurden. Die Anzahl der Studienteilnehmer variierte je nach Studie zwischen sechs und 44 im Alter zwischen 3,6 Monaten bis 21 Jahre. Wir haben auch noch weitere sechs Studien gefunden, die noch nicht abgeschlossen waren.
Hauptergebnisse
In allen Studien wurde eine orale Behandlung angewendet, jedoch mit unterschiedlichen Verabreichungsschemata und Steroid-Dosierungen. In drei Studien wurden verschiedene Dosierungsschemata von Hydrocortison verglichen, in einer anderen Studie wurde Hydrocortison mit Prednisolon und Dexamethason verglichen und in einer weiteren Studie wurde Hydrocortison in Kombination mit Fludrocortison mit Prednisolon in Kombination mit Fludrocortison verglichen. Wir haben keine Studie gefunden, in der eine modifizierte Wirkstofffreisetzung von Hydrocortison oder eine 24-stündige Dauerinfusion von Hydrocortison unter die Haut untersucht wurde.
In fünf Studien wurde über eine Normalisierung des Androgen-Spiegels berichtet, wobei unterschiedliche Messtechniken eingesetzt wurden. Kein Ergebnis zeigte einen konsistenten und tatsächlichen Unterschied zwischen den Therapien. Bei einer Studie (26 Teilnehmer), in der die Teilnehmer eine höhere Dosis Hydrocortison erhielten, wurde über eine größere Wachstumsrate berichtet. Wir sind aber nicht sicher, ob dieses Ergebnis direkt auf die Behandlung zurückzuführen ist. Bei einer zweiten Studie (44 Teilnehmer), in der Hydrocortison mit Prednisolon verglichen wurde, waren wir uns nicht sicher, ob die Behandlungen die Wachstumsrate beeinflussen (die Qualität der Evidenz war sehr niedrig).
In keiner Studie gab es Langzeitergebnisse zu Lebensqualität, Vorbeugung von Nebennierenkrisen, Knochenbrüchigkeit, testikulärer oder ovarieller adrenaler Resttumore, Beeinträchtigung der Fertilität und endgültige Größe eines Erwachsenen.
Qualität der Evidenz
Viele Studien hatten ein hohes oder unklares Gesamtrisiko für Bias. Die Qualität der Evidenz war problematisch, da sie für alle Ergebnisse aus allen Studien als sehr niedrig eingestuft wurde. Das lag einerseits an der geringen Teilnehmerzahl. Andererseits wurde das Abklingen der Wirkung der ersten Behandlung beim Vergleich mit der zweiten Behandlung innerhalb einer Studie nicht berücksichtigt. Darüber hinaus erhielten die Teilnehmer zuvor verschiedene Glukokortikoide.
Schlussfolgerung
Anhand der Evidenz kann nicht gezeigt werden, welches Verabreichungsschema einer Steroidersatztherapie zu besseren Ergebnissen führt oder welche Therapie am wirksamsten bei der Behandlung von AGS bei Erwachsenen und Kindern ist. Es werden große Studien mit einem guten Studiendesign benötigt, um die Wirksamkeit und Sicherheit der unterschiedlichen Steroidersatztherapien für die Behandlung von AGS aufgrund eines 21-Hydroxylasemangels bei Kindern und Erwachsenen bewerten zu können. Außerdem muss die Dauer der Nachbeobachtung verlängert werden um biochemische und klinische Ergebnisse überprüfen zu können.
N. Keller, freigegeben durch Cochrane Deutschland