Fallmanagement für die integrierte Versorgung gebrechlicher älterer Menschen, die nicht in einem Pflegeheim leben

Kernaussagen

- Fallmanagement-Programme für gebrechliche ältere Menschen, die selbständig leben, machen möglicherweise keinen oder nur einen geringen Unterschied bei den Patienten- und Dienstleistungsergebnissen und den pflegebezogenen Kosten. 
- Es liegt keine ausreichende Evidenz vor, um eine Änderung der derzeitigen Praxis zu rechtfertigen.
- Weitere Studien sind erforderlich, um festzustellen, welche Elemente dieser Programme verschiedenen Menschen zugute kommen.

Warum ist dieser Review wichtig?

Die Zahl der gebrechlichen Menschen im Alter von 65 Jahren und darüber nimmt weltweit zu. Es gibt keine Standarddefinition von Gebrechlichkeit, aber im weitesten Sinne ist Gebrechlichkeit eine altersbedingte verminderte Fähigkeit, sich nach einem Gesundheitsproblem schnell zu erholen. Das kann erhebliche Auswirkungen auf die alltäglichen Aktivitäten der Betroffenen haben. Gebrechliche Menschen haben ein hohes Risiko, dass sich ihre Gesundheit und ihr Wohlbefinden verschlechtern. Sie machen oft die Erfahrung schlecht koordinierter Gesundheits- und Pflegeleistungen. Eine integrierte Versorgung zielt darauf ab, die Koordinierung von Dienstleistungen und die Ergebnisse für die Patienten zu verbessern. Sie ist im Vereinigten Königreich und international weit verbreitet umgesetzt. Fallmanagement ist eine Art von integriertem Betreuungsprogramm im eigenen sozialen Umfeld. Diese Programme werden von einer Fachkraft des Gesundheits- oder Sozialwesens mit Unterstützung eines größeren Teams durchgeführt und umfassen die Beurteilung, die Pflegeplanung und die Koordinierung der Pflege, um den Bedürfnissen des Einzelnen gerecht zu werden. Es wurde bisher in keinem Review untersucht, ob Fallmanagement bei gebrechlichen Menschen im Alter von 65 Jahren und älter im Vergleich zur Standardversorgung (die in der Regel die Betreuung durch den Hausarzt bzw. die Hausärztin umfasst) die Ergebnisse für die Betroffenen und die Dienstleistenden verbessert und die Kosten senkt. Wir haben diesen Review erstellt, um diese Lücke zu schließen. 

Was wollten wir herausfinden?

Wir wollten herausfinden, ob Fallmanagement-Programme die Sterblichkeit, die Aufnahmerate in ein Pflegeheim, die Lebensqualität, die Komplikationen (medizinische Ereignisse oder Verletzungen, die als Folge der Studienteilnahme auftraten), die körperliche Funktion, die Krankenhausaufnahmerate und die Kosten im Vergleich zur Standardversorgung verbessern. 

Wie gingen wir vor?

Wir suchten in der wissenschaftlichen Literatur nach randomisierten kontrollierten Studien, bei denen die Teilnehmenden nach dem Zufallsprinzip entweder dem Fallmanagement-Programm oder der Standardversorgung zugewiesen wurden.

Was fanden wir?

Wir fanden 20 relevante Studien, die in Ländern mit hohem Einkommen in Europa, Nordamerika, Asien und Ozeanien durchgeführt wurden. Dies entspricht 11.860 Menschen mit Gebrechlichkeit. 

Hauptergebnisse

- Sterblichkeit

Die Erkenntnisse beruhen auf 14 Studien mit 9924 Teilnehmenden. Fallmanagement-Programme führen im Vergleich zur Standardversorgung möglicherweise zu einem geringen oder gar keinem Unterschied in der Sterblichkeit nach 12 Monaten.

- Aufnahme in ein Pflegeheim

Die Erkenntnisse beruhen auf vier Studien mit 1108 Teilnehmenden. Fallmanagement-Programme führen im Vergleich zur Standardversorgung möglicherweise zu einem geringen oder gar keinem Unterschied bei der Aufnahme in ein Pflegeheim nach 12 Monaten.

- Lebensqualität

Die Erkenntnisse beruhen auf 11 Studien mit 9284 Teilnehmenden. Fallmanagement-Programme führen im Vergleich zur Standardversorgung nach drei bis 24 Monaten möglicherweise zu einem geringen oder gar keinem Unterschied in der Lebensqualität.

- Komplikationen

Die Erkenntnisse beruhen auf zwei Studien mit 592 Teilnehmenden. Fallmanagement-Programme führen im Vergleich zur Standardversorgung nach 12 bis 24 Monaten möglicherweise zu einem geringen oder gar keinem Unterschied bei den Komplikationen.

- Veränderung der körperlichen Funktion 

Die Erkenntnisse beruhen auf 16 Studien mit 10 652 Teilnehmenden. Fallmanagement-Programme führen im Vergleich zur Standardversorgung nach drei bis 24 Monaten möglicherweise zu geringen oder keinen Unterschieden in der körperlichen Funktion.

- Aufnahme ins Krankenhaus

Die Erkenntnisse beruhen auf fünf Studien mit 2424 Teilnehmenden. Fallmanagement-Programme führen im Vergleich zur Standardversorgung wahrscheinlich zu einem geringen oder gar keinem Unterschied bei der Krankenhausaufnahme nach 12 Monaten.

- Veränderung der Kosten

Die Erkenntnisse beruhen auf 14 Studien mit 8486 Teilnehmenden. Fallmanagement-Programme führen im Vergleich zur Standardversorgung nach sechs bis 36 Monaten wahrscheinlich nur zu geringen oder gar keinen Unterschieden bei den Kosten (einschließlich der Kosten für Gesundheitsdienstleistungen, Interventionskosten und andere Kosten wie informelle Pflege).

Die wichtigsten Limitationen dieses Reviews

Wir haben geringes Vertrauen in die Evidenz zu Sterblichkeit, Pflegeheimeinweisung, Lebensqualität, Komplikationen und Veränderung der körperlichen Funktion. Moderates Vertrauen haben wir in die Evidenz zur Veränderung der Inanspruchnahme des Gesundheitswesens und zur Veränderung der Kosten. Zu den Aspekten, die unser Vertrauen in die Evidenz einschränken, gehörten erhebliche Unterschiede zwischen den Studien in Bezug auf die Anzahl der eingeschlossenen Personen, die Definition von Gebrechlichkeit, das Setting der Case-Management-Programme, die beteiligten Pflegeanbietenden und den Zeitpunkt der Ergebnismessung.

Wie aktuell ist dieser Review?

Die Autor*innen des Reviews suchten nach Studien bis zum 23. September 2022.

Schlussfolgerungen der Autoren: 

Es ist unsicher, ob Fallmanagement für die integrierte Versorgung älterer Menschen mit Gebrechlichkeit im kommunalen Setting im Vergleich zur Standardversorgung Patienten- und Dienstleistungsergebnisse verbessert oder die Kosten reduziert. Es besteht weiterer Forschungsbedarf, um eine klare Taxonomie der Interventionskomponenten zu entwickeln, um die Wirkfaktoren von Fallmanagement-Maßnahmen zu identifizieren und um zu verstehen, warum sie für manche Menschen nützlich sind und für andere nicht. 

Den gesamten wissenschaftlichen Abstract lesen...
Hintergrund: 

Weltweit hat die alternde Bevölkerung dazu beigetragen, dass immer mehr Menschen mit Gebrechlichkeit leben, was erhebliche Auswirkungen auf die Inanspruchnahme von Gesundheits- und Pflegeleistungen und die Kosten hat. Die British Geriatrics Society definiert Gebrechlichkeit als "einen spezifischen Gesundheitszustand im Zusammenhang mit dem Alterungsprozess, bei dem mehrere Körpersysteme allmählich ihre angeborenen Reserven verlieren". Dies führt zu einer erhöhten Anfälligkeit für negative Folgen wie eingeschränkte körperliche Funktion, schlechtere Lebensqualität, Krankenhauseinweisungen und Sterblichkeit. Im gemeindenahen Kontext von einer Fachkraft des Gesundheits- oder Sozialwesens geleitete Fallmanagement-Maßnahmen, die von einem multidisziplinären Team unterstützt werden, umfassen die Planung, Bereitstellung und Koordinierung der Pflege, um die Bedürfnisse des Einzelnen zu erfüllen. Fallmanagement ist ein Modell der integrierten Versorgung, das bei den politischen Entscheidungsträgern auf Interesse stößt, um die Versorgung für Bevölkerungsgruppen zu verbessern, bei denen ein hohes Risiko einer Verschlechterung von Gesundheit und Wohlbefinden besteht. Zu diesen Bevölkerungsgruppen gehören ältere Menschen mit Gebrechlichkeit, die in der Regel komplexe Gesundheits- und Sozialfürsorgebedürfnisse haben, deren Versorgung aber aufgrund fragmentierter Pflegesysteme schlecht koordiniert ist.

Zielsetzungen: 

Bewertung der Auswirkungen von Fallmanagement für die integrierte Versorgung älterer Menschen mit Gebrechlichkeit im Vergleich zur üblichen Versorgung.

Suchstrategie: 

Wir durchsuchten die Datenbanken CENTRAL, MEDLINE, Embase, CINAHL, Health Systems Evidence und PDQ Evidence bis zum 23. September 2022. Außerdem wurden klinische Register und relevante Datenbanken mit grauer Literatur durchsucht, die Referenzen der eingeschlossenen Studien und der relevanten systematischen Reviews überprüft, Zitate aus den eingeschlossenen Studien gesucht und Expertinnen und Experten zum Thema kontaktiert.

Auswahlkriterien: 

Wir schlossen randomisierte kontrollierte Studien (RCTs) ein, die Fallmanagement mit Standardversorgung bei in der Gemeinschaft lebenden Menschen im Alter von 65 Jahren und älter, die an Gebrechlichkeit leiden, verglichen.

Datensammlung und ‐analyse: 

Wir haben uns an die von Cochrane und der Effective Practice and Organisation of Care Group empfohlenen methodischen Standardverfahren gehalten. Wir haben den GRADE-Ansatz verwendet, um die Vertrauenswürdigkeit der Evidenz zu bewerten.

Hauptergebnisse: 

Wir schlossen 20 Studien (11 860 Teilnehmende) ein, die alle in Ländern mit hohem Einkommen durchgeführt wurden. Die Fallmanagement-Maßnahmen in den eingeschlossenen Studien unterschieden sich in Bezug auf Organisation, Durchführung, Setting und den beteiligten Leistungserbringern. An den meisten Studien waren verschiedene Fachkräfte aus dem Gesundheits- und Sozialwesen beteiligt, darunter Pflegende, Angehörige der Gesundheitsberufe, Sozialarbeiter*innen, Geriatriker*innen, Ärztinnen und Ärzte, Psychologinnen und Psychologen und klinische Pharmazeutinnen und Pharmazeuten. In neun Studien wurde die Fallmanagement-Intervention ausschließlich von Pflegekräften durchgeführt. Die Nachbeobachtungszeit reichte von drei bis 36 Monaten. Wir bewerteten die meisten Studien mit einem unklaren Risiko für Selektions- und Performance-Bias. Diese Bewertung sowie die Indirektheit rechtfertigten eine Herabstufung der Vertrauenswürdigkeit der Evidenz auf niedrig oder moderat.

Fallmanagement führt im Vergleich zur Standardversorgung möglicherweise zu geringen oder keinen Unterschieden bei den folgenden Zielgrößen:

- Sterblichkeit nach 12 Monaten Nachbeobachtung (7,0% in der Interventionsgruppe gegenüber 7,5% in der Kontrollgruppe; Risikoverhältnis (RR) 0.98, 95% Konfidenzintervall (KI): 0.84 bis 1.15; I2 = 11%; 14 Studien, 9924 Teilnehmende; Evidenz von niedriger Vertrauenswürdigkeit)
- Wechsel in ein Pflegeheim nach 12 Monaten Nachbeobachtung (9,9% in der Interventionsgruppe gegenüber 13,4% in der Kontrollgruppe; RR 0.73, 95% KI: 0,53 bis 1,01; I2 = 0%; 4 Studien, 1108 Teilnehmende; Evidenz von niedriger Vertrauenswürdigkeit)
- Lebensqualität nach drei bis 24 Monaten Nachbeobachtung (Ergebnisse nicht gepoolt; mittlere Unterschiede (MDs) reichten von -6,32 Punkten (95% KI: -11,04 bis -1,59) bis 6,1 Punkten (95% KI: -3,92 bis 16,12), wenn berichtet; 11 Studien, 9284 Teilnehmende; Evidenz von geringer Vertrauenswürdigkeit)
- Schwerwiegende unerwünschte Wirkungen bei der Nachbeobachtung nach 12 bis 24 Monaten (Ergebnisse nicht gepoolt; 2 Studien, 592 Teilnehmende; Evidenz von geringer Vertrauenswürdigkeit)
- Veränderung der körperlichen Funktion nach drei bis 24 Monaten Nachbeobachtung (Ergebnisse nicht gepoolt; MDs reichten von -0.12 Punkten (95% K:I -0,93 bis 0,68) bis 3.4 Punkten (95% KI: -2,35 bis 9,15), wenn berichtet; 16 Studien, 10.652 Teilnehmende; Evidenz von geringer Vertrauenswürdigkeit)

Fallmanagement führt im Vergleich zur Standardversorgung wahrscheinlich zu keinem oder nur zu einem geringen Unterschied bei den folgenden Zielgrößen:

- Inanspruchnahme des Gesundheitswesens in Form von Krankenhauseinweisungen nach 12 Monaten (32,7% in der Interventionsgruppe gegenüber 36,0% in der Kontrollgruppe; RR 0.91, 95% KI: 0.79 bis 1.05; I2 = 43%; 6 Studien, 2424 Teilnehmende; moderate Vertrauenswürdigkeit der Evidenz)
- Veränderung der Kosten nach sechs bis 36 Monaten Nachbeobachtung (Ergebnisse nicht gepoolt; 14 Studien, 8486 Teilnehmende; moderate Vertrauenswürdigkeit der Evidenz), die in der Regel die Kosten für die Gesundheitsversorgung, die Interventionskosten und andere Kosten wie informelle Pflege umfassen.

Anmerkungen zur Übersetzung: 

T. Brugger, B. Schindler, freigegeben durch Cochrane Deutschland

Tools
Information

Cochrane Kompakt ist ein Gemeinschaftsprojekt von Cochrane Schweiz, Cochrane Deutschland und Cochrane Österreich. Wir danken unseren Sponsoren und Unterstützern. Eine Übersicht finden Sie hier.