Verabreichung von Glukose zur Ersten-Hilfe bei symptomatischer Hypoglykämie.

Fragestellung des Reviews

Wir untersuchten die Auswirkungen verschiedener Verabreichungsformen von Glukose als Erste-Hilfe-Behandlung bei Menschen mit vermuteter oder symptomatischer Hypoglykämie (Unterzuckerung).

Hintergrund

Bei Menschen mit Diabetes tritt Hypoglykämie oder ein niedriger Blutzuckerspiegel häufig auf, was aber aufgrund eines Ungleichgewichts in der Blutzuckerregulierung auch bei anderen Personen auftreten kann. Bei einer leichten oder mäßigen Hypoglykämie kommt es zu Symptomen wie z.B. Zittern, Schwindel, Schwitzen oder Nervosität. Die Erste Hilfe verabreichen sich Betroffene bei dieser Erkrankung in der Regel selbst, wird aber auch oft von der Familie oder Freunden geleistet. Glukosetabletten haben dabei eine bessere Symptomlinderung im Vergleich zu diätetischen Zuckerformen wie Saft, Süßigkeiten oder Trockenobst gezeigt. Glukose kann sowohl oral (schlucken) als auch innerhalb der Wange gegen die Wangenschleimhaut ("bukkale Verabreichung"), unter die Zunge ("sublinguale Verabreichung") oder über den Rektalweg verabreicht werden. Bei den letzten drei Behandlungsmethoden wird die Glukose nicht wie bei der oralen Methode verschluckt.

Studienmerkmale

Wir haben vier Studien untersucht. In einer randomisierten Studie (klinische Studien, in denen Menschen nach dem Zufallsprinzip einer von zwei oder mehreren Behandlungsgruppen zugeordnet werden) wurde die sublinguale Glukoseverabreichung in Form von Haushaltszucker mit einer oralen Verabreichung bei 42 hypoglykämischen Kindern im Alter zwischen einem und 15 Jahren verglichen. Zwei nicht-randomisierte Studien verglichen die bukkale Glukoseverabreichung mit der oralen Verabreichung bei 23 erwachsenen gesunden nüchternen Probanden. Ein Dextrosegel wurde in einer randomisierten Studie mit einer oralen Verabreichung von Glukose bei 18 Personen mit Typ-1-Diabetes und Hypoglykämie verglichen.

Hauptergebnisse

Nach 20 Minuten führte die Zufuhr von Zucker unter die Zunge (sublingual) zu einem stärkeren Anstieg des Blutzuckerspiegels als die orale Zufuhr des Zuckers. Dies war aber in einem spezifischen Umfeld, das Kinder mit Hypoglykämie und Symptomen einer begleitenden Malaria- oder Atemwegsinfektion einschloss. Andererseits führte die Glukosegabe über die bukkale Schleimhaut zu einer niedrigeren Plasmaglukosekonzentration als bei der oralen Aufnahme. Ein klarer Vorteil von Dextrosegel (bei dem die Aufnahme der Glukose durch eine Kombination aus oraler Einnahme und über die Wangenschleimhaut erfolgt) im Vergleich zur oralen Glukoseverabreichung (Glukosetabletten oder Glukoselösungen) konnte nicht gefunden werden. Die meisten Studien machen keine Angaben über die Zeit bis zum Abklingen der Symptome, die Auflösung der Hypoglykämie, wie sie durch Blutzuckerwerte über einem bestimmten Schwellenwert definiert ist, die Zeit bis zur Behandlung der Hypoglykämie, Nebenwirkungen und die Verzögerung der Behandlung.

Vertrauenswürdigkeit der Evidenz

Die Evidenz ist aufgrund von Einschränkungen des Studiendesigns, wenigen Studien und einer geringen Anzahl von Studienteilnehmern sowie, dass die Hälfte der Studien mit gesunden Probanden und nicht mit Menschen mit charakteristischer Hypoglykämie durchgeführt wurde, sehr niedrig.

Schlussfolgerungen der Autoren: 

Die orale Glukoseverabreichung führt bei der Versorgung von Menschen mit Hypoglykämie in einer Erste-Hilfe-Situation nach 20 Minuten zu einer höheren Blutzuckerkonzentration im Vergleich zu der bukkalen Glukoseverabreichung. Im Vergleich zur oralen Verabreichung einer Glukosetablette oder -lösung konnte kein Unterschied in der Plasmaglukosekonzentration durch die Verabreichung eines Dextrose-Gels -Gels (definiert als "ein kombinierter oraler und bukkaler Weg über Schleimhaut") nachgewiesen werden. Bei der spezifischen Population von Kindern mit begleitender Malaria und Atemwegserkrankungen führt sublingualer Zucker nach 20 Minuten zu einer höheren Blutzuckerkonzentration, im Vergleich zur oralen Verabreichung. Diese Erkenntnisse sind mit Vorsicht zu interpretieren, da unser Vertrauen in die Evidenz sehr niedrig ist. Dies ist begründet in der geringen Teilnehmer- und Studienanzahl sowie methodischer Mängel innerhalb der erfassten Studien.

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Hintergrund: 

Hypoglykämie tritt häufig bei Menschen mit Diabetes auf, kann aber auch aus einem Ungleichgewicht der Glukosehomöostase ohne Diabetes entstehen. Die beste Form der enteralen Verabreichung von Glukose bei Verdacht auf Hypoglykämie in einer Erste-Hilfe-Situation ist nicht bekannt.

Zielsetzungen: 

Es sollten die Auswirkungen der Erste-Hilfe-Glukoseverabreichung bei symptomatischer Hypoglykämie über jeden, ffür Erste-Hilfe-Anbieter geeigneten Weg (bukkal, sublingual, oral, rektal), beurteilt werden.

Suchstrategie: 

Bis Juli 2018 haben wir CENTRAL, MEDLINE, Embase, CINAHL sowie graue Literatur (Datensätze, die im WHO ICTRP Suchportal, ClinicalTrials.gov und im EU Clinical Trials Register identifiziert wurden) durchsucht. Wir haben die Referenzlisten der eingeschlossenen Studien durchsucht, die durch die oben genannten Recherchen gefunden wurden.

Auswahlkriterien: 

Wir haben sowohl Studien an Erwachsenen und Kindern mit dokumentierter oder vermuteter Hypoglykämie als auch Studien an gesunden Menschen eingeschlossen, denen Glukose auf jedem für Ersthelfer geeigneten, enteralen Weg verabreicht wurde.

Datensammlung und ‐analyse: 

Zwei Review-Autoren wählten unabhängig voneinander Studien aus, bewerteten das Risiko für Bias, extrahierten Daten und bewerteten die allgemeinen Vertrauenswürdigkeit der Evidenz der Studien anhand des GRADE-Instruments. Wir verwendeten das Cochrane ‚Risk of bias‘ Instrument zur Messung des Risikos für Bias in den randomisierten kontrollierten Studien (RCTs). Für die Bewertung des Risiko für Bias der nicht-randomisierten Studien (non-RCTs) verwendeten wir das ‚risk of bias in non-randomised studies of interventions‘ (ROBINS-I) Instrument sowie die Empfehlungen zu Cross-over-Studien im Cochrane Handbook for Systematic Reviews of Interventions. Wir erfassten kontinuierliche Endpunkte als Mittelwertdifferenzen (MD) mit 95 % Konfidenzintervallen (KIs) und dichotome Endpunkte als Risiko-Verhältnisse (RR) mit 95 % KIs. Alle Daten zu Glukosekonzentrationen wurden in mg/dL umgerechnet. Wir kontaktierten die Autoren der eingeschlossenen Studien, um fehlende Daten zu erhalten.

Hauptergebnisse: 

Aus 6394 Referenzen schlossen wir vier Studien ein, in denen Daten von 77 Teilnehmenden ausgewertet wurden. Darunter waren zwei RCTs, in denen Kinder und Erwachsene mit Hypoglykämie untersucht wurden, sowie zwei non-RCTs mit gesunden Probanden. Die Studien umfassten drei verschiedene Arten der Glukoseverabreichung (sublingual, bukkal und eine Kombination aus oraler und bukkaler Verabreichung). Alle Studien wiesen ein hohes Risiko für Bias in einem oder mehreren Bereichen auf.

Die sublinguale Glukoseverabreichung in Form von Tafelzucker unter der Zunge führte nach 20 Minuten zu einer höheren Blutzuckerkonzentration als die orale Verabreichung in der sehr spezifischen Situation von Kindern mit Hypoglykämie und Symptomen einer gleichzeitigen Malaria- oder Atemwegsinfektion (MD 17 mg/dL, 95 % KI 4,4 bis 29,6; P = 0,008; 1 Studie; 42 Teilnehmer; sehr niedrige Qualität der Evidenz). Die Auflösung der Hypoglykämie nach 80 Minuten könnte durch die sublinguale Verabreichung begünstigt sein (RR 2,10, 95 % KI 1,24 bis 3,54; P = 0,006; 1 Studie; 42 Teilnehmer; sehr niedrige Qualität der Evidenz), bei 20 Minuten konnte allerdings kein wesentlicher Unterschied nachgewiesen werden (RR 1,26, 95 % KI 0,91 bis 1,74; P = 0,16; 1 Studie; 42 Teilnehmer; sehr niedrige Qualität der Evidenz). Eine Verringerung der Zeit bis zur Auflösung der Hypoglykämie wurde zugunsten der sublingualen Verabreichung festgestellt (MD -51,5 min, 95 % KI -58 bis -45; P < 0,001; 1 Studie; 42 Teilnehmer; sehr niedrige Qualität der Evidenz). In keiner der beiden Gruppen wurden unerwünschte Ereignisse berichtet. Zur Auflösung von Symptomen, der Dauer bis zur Auflösung von Symptomen sowie zur Behandlungsverzögerung waren keine Daten verfügbar.

Die in einer Studie bukkal verabreichte Glukose führte nach 20 Minuten im Vergleich zur oralen Verabreichung zu einer niedrigeren Plasmaglukosekonzentration (MD -14,4 mg/dL, 95 % KI -17,5 bis -11,4 für einen, den Teilnehmern zugeschriebenen Korrelationskoeffizienten von 0,9; P < 0,001; 1 Studie; 16 Teilnehmer; sehr niedrige Qualität der Evidenz). Eine weitere Studie wies weniger Teilnehmer mit erhöhtem Blutzuckerspiegel nach 20 Minuten auf, was für die orale Form der Glukosegabe sprach (RR 0,07, 95 % KI 0,00 bis 0,98; P = 0,05; 1 Studie; 7 Teilnehmer; sehr niedrige Vertrauenswürdigkeit der Evidenz). Für die Auflösung von Symptomen die Dauer bis zur Auflösung von Symptomen, die Auflösung der Hypoglykämie und die Dauer bis zur Auflösung der Hypoglykämie, Nebenwirkungen sowie Behandlungsverzögerung waren keine Daten verfügbar.

Für die kombinierte orale und bukkale Schleimhautapplikation (in Form eines Dextrose-Gels) betrug die MD -15,3 mg/dL, 95 % KI -33,6 bis 3; P = 0,09; 1 Studie; 18 Teilnehmer; sehr niedrige Qualität der Evidenz. Bei der Auflösung von Symptomen wurde für keine der beiden Verabreichungsformen nach 20 Minuten oder kürzer nach der Glukoseverabreichung eine Verbesserung festgestellt (RR 0,36, 95 % KI 0,12 bis 1,14; P = 0,08; 1 Studie; 18 Teilnehmer; sehr niedrige Qualität der Evidenz). Für die Dauer bis zur Auflösung von Symptomen, Auflösung der Hypoglykämie und für die Dauer bis zur Auflösung der Hypoglykämie, unerwünschte Ereignisse und Behandlungsverzögerung waren keine Daten verfügbar.

Anmerkungen zur Übersetzung: 

S. Schneider, freigegeben durch Cochrane Schweiz/Deutschland. Unterstützt von Fondation SANA.

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