Cannabis und Cannabinoide für Menschen mit Multipler Sklerose

Kernaussagen
• Die Behandlung mit Nabiximols führt wahrscheinlich zu einer Verbesserung der Spastizität und dürfte im Vergleich zu Placebo keine schwerwiegenden schädlichen Effekte haben

• Im Vergleich zu Placebo verbessern Cannabinoide (Nabiximols, Cannabisextrakt, synthetische Cannabinoide) wahrscheinlich das Wohlbefinden, wenn es mithilfe der von den Patienten berichteten Ergebnisse gemessen wurde.

• Da es an belastbarer Evidenz mangelt, ist der Nutzen dieser Arzneimittel für die Behandlung chronischer neuropathischer Schmerzen unklar.

Worum geht es?

Viele Menschen mit Multipler Sklerose (MS) leiden unter einer Spastik, die auch Schmerzen verursacht und die Fähigkeit zur Verrichtung alltäglicher Aktivitäten beeinträchtigt. Spastizität ist eine Form des erhöhten Muskeltonus. Medikamente auf Cannabisbasis verweisen auf die Verwendung von Cannabis oder seinen Inhaltsstoffen, den so genannten Cannabinoiden, als medizinische Therapien zur Linderung von Spastizität, chronischen Schmerzen und anderen Symptomen bei MS. Eine internationale Befragung ergab, dass MS eine der fünf Krankheiten ist, bei denen Cannabis am häufigsten verwendet wird. Eine andere im Vereinigten Königreich durchgeführte Befragung ergab, dass mehr als jeder fünfte MS-Patient angab, Cannabis zu verwenden, um seine Symptome zu lindern.

Was wollten wir herausfinden?

Wir wollten herausfinden, ob Cannabinoide bei Erwachsenen mit MS eine bessere Wirkung als Placebo haben für:

• Spastizität;

• chronische neuropathische Schmerzen;

• Wohlbefinden,

Wir wollten auch herausfinden, ob Cannabinoide in Verbindung stehen mit:

• Abbruch der Behandlung aufgrund von unerwünschten Wirkungen;

• schwerwiegenden schädlichen Wirkungen;

• Störungen des Nervensystems oder psychiatrischen Störungen;

• Medikamententoleranz, definiert als ein Zustand, der eintritt, wenn sich der Körper an ein Medikament gewöhnt, so dass mehr Medikamente benötigt werden.

Wie gingen wir vor?
Wir suchten nach Studien, die Cannabinoide mit Placebo bei erwachsenen MS-Patienten verglichen. Wir verglichen und fassten ihre Ergebnisse zusammen und bewerteten unser Vertrauen in die Evidenz auf der Grundlage von Faktoren wie Studienmethoden und Vertrauenswürdigkeit der Evidenz.

Was fanden wir heraus?

Wir fanden 25 Studien, die 3763 Menschen mit MS einschlossen, von denen 2290 Cannabinoide erhielten. Bei 15 Studien handelte es sich um sehr kurze oder kurze Studien (zwei bis 12 Wochen), bei sieben um Studien mittlerer Länge (12 bis 26 Wochen) und bei zwei um langfristig angelegte Studien (50 und 156 Wochen). Eine Studie berichtete über Ergebnisse nach nur drei Tagen. Die größte Studie wurde mit 657 Personen durchgeführt, die kleinste Studie schloss 14 Personen ein. Die meisten Studien wurden in europäischen Ländern durchgeführt. Dreizehn Studien untersuchten ein orales Spray (Nabiximols), das zwei aus der Cannabispflanze gewonnene Verbindungen enthält. Die anderen Studien verglichen verschiedene Cannabinoide mit Placebo. Pharmazeutische Unternehmen finanzierten 15 der Studien.

Hauptergebnisse

Verglichen mit Placebo, können Cannabinoide:

• wahrscheinlich die Anzahl der Personen erhöhen, die über eine erhebliche Verringerung des wahrgenommenen Schweregrads der Spastizität für bis zu 14 Wochen berichten (Evidenz aus fünf Studien mit 1143 Personen);

• möglicherweise die Anzahl der Personen erhöhen, die über eine deutliche Verringerung der wahrgenommenen Schwere chronischer neuropathischer Schmerzen berichten, aber die Evidenz ist sehr unsicher (Evidenz aus einer Studie mit 48 Personen).

Wir sind uns nicht sicher, ob Cannabinoide die Intensität chronischer neuropathischer Schmerzen verringern:

• wahrscheinlich erhöhen sie die Anzahl der Personen, die ihr Wohlbefinden als "sehr stark" oder "stark" verbessert empfinden (Erkenntnisse aus acht Studien mit 1215 Personen);

• möglicherweise könnten sie die Zahl der Personen, die die Behandlung aufgrund unerwünschter Wirkungen abbrechen, leicht erhöhen (Evidenz aus 21 Studien mit 3110 Personen);

• möglicherweise könnten sie zu einem geringen bis gar keinem Unterschied in der Anzahl der Personen führen, die schwerwiegende schädliche Auswirkungen haben (Evidenz aus 20 Studien mit 3124 Personen);

• möglicherweise könnten sie Störungen des Nervensystems (Evidenz aus sieben Studien mit 1154 Personen) oder psychiatrische Störungen (Evidenz aus sechs Studien mit 1122 Personen) verstärken;

• möglicherweise könnten sie nur geringe oder gar keine Effekte auf die Anzahl der Personen haben, die eine Medikamententoleranz aufweisen, aber die Evidenz ist sehr unsicher (zwei Studien mit 458 Personen).

Was sind die Einschränkungen der Evidenz?

Es gibt keine Evidenz von hoher Qualität.

Wir sind moderat zuversichtlich, dass Cannabinoide besser wirken als keine Cannabinoide, um den Schweregrad der Spastizität und das Wohlbefinden bei Erwachsenen mit MS zu verbessern. Da die verfügbare Evidenz begrenzt ist, haben wir wenig Vertrauen in unsere Ergebnisse für die Wirkung auf chronische neuropathische Schmerzen.

Es gibt nur begrenzte Evidenz zu den Effekten von Cannabinoiden auf schwerwiegende schädliche Auswirkungen, Störungen des Nervensystems oder psychiatrische Störungen und die Medikamententoleranz.

Wie aktuell ist die Evidenz?
Die Evidenz ist auf dem Stand von Dezember 2021.

Anmerkungen zur Übersetzung: 

F. Aschoff, freigegeben durch Cochrane Deutschland.

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