Ist Rituximab für Menschen mit Multipler Sklerose besser geeignet als andere krankheitsmodifizierende Medikamente?

Kernaussagen

- Es ist unklar, ob Rituximab das Fortschreiten der Behinderung bei Menschen mit irgendeiner Form von Multipler Sklerose (MS) wirksam aufhält.
- Rituximab bietet möglicherweise im Vergleich zu einer Reihe anderer Medikamente einen moderaten bis großen Nutzen bei der Vorbeugung von Schüben bei schubförmiger MS, und zwar sowohl bei Patient*innen, die Rituximab als Erstbehandlung erhalten, als auch bei Patient*innen, die Rituximab erhalten, nachdem andere Medikamente versagt haben oder nicht mehr geeignet sind.
- Nur sehr wenige Personen, die in den Studien Rituximab erhielten, erlitten schwerwiegende unerwünschte Ereignisse, entwickelten Krebs oder starben während der 24-monatigen Nachbeobachtung.

Was ist Multiple Sklerose (MS)?

MS ist eine Erkrankung des zentralen Nervensystems, bei der das körpereigene Immunsystem irrtümlicherweise die Schutzhülle der Nervenfasern angreift, was zu Entzündung und Schädigung der Nerven führt. Die Signalübertragung zwischen Gehirn und Körper ist beeinträchtigt, was zu einer Vielzahl unterschiedlicher Symptome führen kann. Es gibt zwei Hauptformen der MS: (1) schubförmig-remittierende MS, bei der es episodisch zu Schüben (plötzliche Verschlechterung der Symptome) kommt, gefolgt von einer Remissionsphase, in der sich die Symptome entweder teilweise oder vollständig zurückbilden; und (2) progrediente MS, bei der sich die Symptome über die Zeit hinweg zunehmend verschlechtern, ohne dass es zu deutlichen Erholungsphasen kommt. Die schubförmige MS kommt häufiger vor.

Wie wird MS behandelt?

Für MS gibt es keine Heilung. Das Ziel der Behandlung ist es, die Symptome zu lindern, die Krankheitsaktivität zu reduzieren, das Fortschreiten der Krankheit zu verlangsamen und die Lebensqualität zu verbessern. Dazu gehört, dass Menschen mit MS krankheitsmodifizierende Behandlungen (DMTs) erhalten, im Gegensatz zu Behandlungen, die nur die Symptome behandeln. Es gibt verschiedene Arten von krankheitsmodifizierenden Behandlungen für MS, darunter Rituximab. Rituximab ist:

- ein Medikament, das über eine Nadel langsam in eine Vene verabreicht wird (intravenöse Infusion) und gezielt bestimmte Immunzellen unterdrückt;
- in der Modellliste der Weltgesundheitsorganisation (WHO) der unentbehrlichen Medikamente für MS enthalten, wodurch Rituximab weltweit verfügbar ist. Rituximab wird nicht immer von den Gesundheitssystemen erstattet, da es von den Zulassungsbehörden nicht für MS zugelassen ist;
- eine hochwirksame Behandlung. Es ist kostengünstiger und muss weniger oft verabreicht werden als andere Medikamente, die für MS zugelassen sind. Die Behandlung mit Rituximab erfordert eine spezialisierte Betreuung und Einrichtungen, in denen Infusionen durchgeführt werden können. Dies trifft aber auch auf zugelassene Medikamente für MS zu.

Was wollten wir herausfinden?

Wir wollten herausfinden, welche Wirkungen Rituximab bei Menschen mit jeder Form von MS auf folgende Endpunkte hat:

- Verschlechterung der Behinderung, Schübe und Lebensqualität;
- unerwünschte Wirkungen wie schwerwiegende schädliche Effekte, schwere allgemeine Infektionen, Krebs und Tod.

Wie gingen wir vor?

Wir suchten nach Studien, die Rituximab mit anderen Medikamente zur Infusion (z. B. Natalizumab), injizierbaren Medikamenten (z. B. Interferon beta, Glatirameracetat) und oralen Medikamenten (z. B. Fingolimod, Dimethylfumarat) verglichen.

Wir verglichen und fassten die Ergebnisse der eingeschlossenen Studien zusammen und bewerteten unser Vertrauen in die Evidenz, basierend auf Faktoren wie Studienmethoden und weiteren Qualitätsaspekten.

Was fanden wir?

Wir fanden 28 Studien, an denen 37.443 Menschen mit MS teilnahmen und die ein oder zwei Jahre dauerten. An der größten Studie nahmen 8600 Personen teil, an der kleinsten 27 Personen. Die meisten Menschen (27.500, 73 % aller Teilnehmenden) hatten eine schubförmige MS, während nur 813 (2 %) eine progrediente Form hatten. Drei Studien umfassten 9130 (24 %) Menschen mit jeglicher Formen von MS. Die meisten Studien stammen aus Ländern mit hohem Einkommen. 22 der Studien (79 %) waren öffentlich finanziert.

HAUPTERGEBNISSE

Schubförmig-remittierende MS

- Aufgrund der kurzen Nachbeobachtungszeit der Studien wissen wir nicht, ob Rituximab langfristig eine Wirkung auf das Fortschreiten der Behinderung hat.
- Bei Patient*innen, die Rituximab entweder als Ersttherapie oder nach dem Versagen bzw. der Ungeeignetheit anderer Medikamente erhielten, verringert Rituximab möglicherweise das Risiko von Schüben im Vergleich zu Interferon beta, Glatirameracetat, Dimethylfumarat, Fingolimod und Natalizumab (Evidenz aus 16 Studien).
- Schwerwiegende unerwünschte Wirkungen von Rituximab sind sehr selten. Aufgrund der kurzen Nachbeobachtungszeit in den Studien wissen wir jedoch nicht, ob Rituximab langfristig schwerwiegende unerwünschte Wirkungen verursacht.
- Rituximab führt wahrscheinlich häufiger zu schwerwiegenden Infektionen, die eine Krankenhausbehandlung erfordern, als für MS zugelassene Medikamente. Die Wahrscheinlichkeit, dass schwerwiegende Infektionen auftreten, ist im Verhältnis zur Gesamtzahl der betrachteten Personen allerdings gering.

Progrediente MS

Es ist unklar, ob Rituximab einen Nutzen für Menschen mit primär progredienter MS hat.

Was sind die wichtigsten Einschränkungen der Evidenz?

Unser Vertrauen in die Evidenz ist aus folgenden Gründen eingeschränkt. Die Betroffenen wurden in den meisten Studien nicht nach dem Zufallsprinzip in verschiedene Behandlungsgruppen eingeteilt. Dies bedeutet, dass die Unterschiede zwischen den Behandlungsgruppen auf Unterschiede zwischen den Teilnehmenden und nicht auf Unterschiede zwischen den Vergleichsbehandlungen zurückzuführen sein könnten. Nur in wenigen Studien wurden die Teilnehmenden nach dem Zufallsprinzip verschiedenen Behandlungsgruppen zugewiesen. Diese Studien waren klein und verwendeten Methoden, die zu Fehlern in ihren Ergebnissen führen können. Die Ergebnisse stammen aus Kurzzeitstudien. Für Menschen mit einer chronischen Krankheit wie MS ist es entscheidend, die langfristigen Vorteile und möglichen unerwünschten Wirkungen eines Medikaments zu kennen. Dieser Aspekt spielt eine zentrale Rolle bei ihrer Behandlung.

Wie aktuell ist die vorliegende Evidenz?

Dieser Review ist eine Aktualisierung einer vorherigen Version. Die Evidenz ist auf dem Stand vom 31. Dezember 2023.

Anmerkungen zur Übersetzung: 

B. Schindler, M. Zeitler, freigegeben durch Cochrane Deutschland

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