Sind Kortikosteroide (entzündungshemmende Medikamente), oral oder per Injektion verabreicht, eine wirksame Behandlung für Menschen mit einer COVID-19-Erkrankung?

Kernaussagen

- Kortikosteroide (entzündungshemmende Medikamente), oral oder per Injektion verabreicht, werden für die Behandlung der Coronavirus-Krankheit 2019 (COVID-19) bewertet.

- Mit Kortikosteroiden lässt sich die Sterblichkeitsrate leicht senken.

- Wir wissen nicht, ob eine bestimmte Art oder Dosis von Kortikosteroiden wirksam ist.

- Für Personen, die nicht im Krankenhaus behandelt wurden, liegen keine Daten vor.

- Wir fanden 42 laufende und 23 abgeschlossene Studien ohne veröffentlichte Ergebnisse oder relevante Informationen zum Studiendesign, so dass sich unsere Ergebnisse in Zukunft ändern können.

Was sind Kortikosteroide?

Kortikosteroide sind entzündungshemmende Medikamente, die Rötungen und Schwellungen reduzieren, die durch eine Beeinträchtigung (z. B. Verletzung, Reizung) des Körpers entstanden sind. Sie senken außerdem die Aktivität des Immunsystems, welches den Körper gegen Krankheiten und Infektionen schützt. Kortikosteroide werden zur Behandlung einer Vielzahl von Erkrankungen eingesetzt, z. B. Asthma, Ekzeme, Gelenkbeschwerden und rheumatoide Arthritis. Systemische Kortikosteroide können geschluckt oder als Injektion verabreicht werden, um Probleme überall im Körper zu behandeln. Die kurzfristige Einnahme hoher Dosen kann das Risiko für weitere Infektionen (einschließlich Pilzinfektionen) sowie für erhöhte Blutzuckerwerte und hohen Blutdruck erhöhen. Außerdem kann es zu Morbus Cushing (eine Erkrankung, die sich unter anderem durch Fetteinlagerungen im Gesicht und Dehnungsstreifen äußert) und psychiatrischen Nebenwirkungen wie Steroidpsychose und Delirium führen.

Warum sind Kortikosteroide eine mögliche Behandlung für COVID-19?

Eine COVID-19-Erkrankung wirkt sich auf die Lunge und die Atemwege aus. Wenn das Immunsystem das Virus bekämpft, können sich die Lunge und die Atemwege entzünden. Das kann zu Atembeschwerden führen und den Sauerstofftransport zu anderen lebenswichtigen Organen behindern. Bei einigen Patient*innen kommt es zu einer Überreaktion des Immunsystems auf das eingedrungene Virus und in der Folge zu weiteren Entzündungen und Gewebeschäden im ganzen Körper. Glukokortikoide können helfen, diese Reaktion zu kontrollieren.

Wir wollten wissen:

- ob und bei welcher Dosierung systemische Kortikosteroide eine wirksame Behandlung bei COVID-19-Erkrankung darstellen;

- ob sie unerwünschte Wirkungen haben; und

- ob sich Nutzen und Schaden in Bezug auf Gleichstellungsaspekte (z. B. Alter, Geschlecht, ethnische Zugehörigkeit, Pro-Kopf-Einkommen des Landes) unterscheiden.

Wir waren an Folgendem interessiert:

- Todesfälle jeglicher Ursache bis zu 30 und 120 Tage nach Behandlungsbeginn;

- ob es den Menschen nach der Behandlung besser oder schlechter ging;

- unerwünschte Wirkungen, z. B. im Krankenhaus erworbene Infektionen.

Wie gingen wir vor?

Wir haben nach Studien gesucht, in denen systemische Kortikosteroide bei COVID-19-Erkrankung untersucht wurden. Die Studienteilnehmenden können jeden Alters, Geschlechts oder jeder ethnischen Zugehörigkeit sein.

In den Studien konnten folgende Vergleiche mit Kortikosteroiden durchgeführt werden:

- plus übliche Versorgung versus übliche Versorgung alleine mit oder ohne Placebo (Scheinmedikament);
- versus einer anderen Art von Kortikosteroid;
- versus einem anderen Medikament;
- in unterschiedlichen Dosierungen;
- als Früh- oder Spätbehandlung verabreicht.

Wir verglichen die Ergebnisse der Studien, fassten sie zusammen und bewerteten unser Vertrauen in die Evidenz anhand von Faktoren wie den Methoden und der Größe der Studien.

Was fanden wir?

Wir fanden 16 Studien mit 9549 Personen. Etwa 4532 Personen erhielten Kortikosteroide, meist Dexamethason (3766 Personen). Die Teilnehmenden dieser Studien waren meist älter als 50 Jahre, männlich und kamen aus Ländern mit hohem Einkommen.

Außerdem fanden wir 42 laufende und 23 abgeschlossene Studien ohne veröffentlichte Ergebnisse oder mit fehlenden Informationen zum Studiendesign.

Hauptergebnisse

Elf Studien verglichen Kortikosteroide plus übliche Behandlung mit der üblichen Behandlung alleine mit oder ohne Placebo. Nur eine Studie verglich zwei Arten von Kortikosteroiden. In vier Studien wurden unterschiedliche Dosierungen des Kortikosteroids Dexamethason verglichen. Die Studien schlossen nur Menschen in Krankenhäusern ein, bei denen eine COVID-19-Erkrankung vermutet oder nachgewiesen wurde. In keiner der Studien wurden nicht im Krankenhaus behandelte Personen untersucht oder verschiedene Zeitpunkte der Behandlung.

Systemische Kortikosteroide plus übliche Behandlung im Vergleich zu üblicher Behandlung mit oder ohne Placebo:

- verringern wahrscheinlich geringfügig die Zahl der Todesfälle jeglicher Ursache bis zu 30 Tage nach der Behandlung;

- erhöhen möglicherweise geringfügig die Chance, lebend aus dem Krankenhaus entlassen zu werden, und verringern möglicherweise leicht das Risiko, beatmet werden zu müssen oder zu sterben;

- Wir wissen nicht, ob Kortikosteroide die Zahl der Todesfälle jeglicher Ursache bis zu 120 Tage nach der Behandlung, unerwünschte Wirkungen oder im Krankenhaus erworbene Infektionen erhöhen oder verringern.

Methylprednisolon versus Dexamethason:

Das Vertrauen in die Evidenz hinsichtlich der Zahl der Todesfälle innerhalb von 30 Tagen ist sehr unsicher (nur eine kleine Studie).

Hoch dosiertes Dexamethason (12 mg oder mehr) gegenüber niedrig dosiertem Dexamethason (6 mg bis 8 mg)

Hoch dosiertes Dexamethason:

- kann möglicherweise die Zahl der Todesfälle jeglicher Ursache innerhalb von 30 Tagen nach der Behandlung verringern;
- kann möglicherweise die Chance, lebend aus dem Krankenhaus entlassen zu werden, wenig bis gar nicht beeinflussen;
- Wir wissen nicht, ob hoch dosiertes Dexamethason die Zahl der Todesfälle jeglicher Ursache bis zu 120 Tage nach der Behandlung, unerwünschte Wirkungen oder im Krankenhaus erworbene Infektionen erhöht oder verringert.

Untergruppenanalysen nach Gleichstellungsaspekten

Wir untersuchten die folgenden gleichstellungsrelevanten Aspekte: ethnische Zugehörigkeit (Schwarze, Asiaten oder andere versus Weiße versus unbekannt) und Wohnort (Länder mit hohem Einkommen versus Länder mit niedrigem und mittlerem Einkommen). Für die meisten Untergruppen, mit Ausnahme von Alter und ethnischer Zugehörigkeit, gab es keine Evidenz für Unterschiede. Bei Todesfällen jeglicher Ursache innerhalb von 30 Tagen scheinen unter 70-Jährige von Kortikosteroiden zu profitieren im Gegensatz zu 70-Jährigen und älter. Darüber hinaus war der geschätzte Effekt bei den wenigen Teilnehmenden einer schwarzen, asiatischen oder ethnischen Minderheit größer als bei der großen Zahl der weißen Teilnehmenden. Diese Untergruppenergebnisse müssen aber mit Vorsicht interpretiert werden.

Was schränkt die Evidenz ein?

Was die Wirkung von Kortikosteroiden auf Todesfälle jeglicher Ursache innerhalb von 30 Tagen nach der Behandlung betrifft, ist unser Vertrauen in die Evidenz moderat. Allerdings ist unser Vertrauen in die restliche Evidenz niedrig bis sehr niedrig, da die Studien nicht ausreichend zuverlässige Methoden nutzten und die Art, wie Ergebnisse dokumentiert und berichtet wurden, von Studie zu Studie unterschiedlich war.

Wie aktuell ist die vorliegende Evidenz?

Dieser Review ist eine aktualisierte Version unseres vorherigen Reviews. Der Nachweis umfasst Studien bis zum 6. Januar 2022.

Anmerkungen zur Übersetzung: 

B. Schindler, C. Iannizzi, freigegeben durch Cochrane Deutschland

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