Kernaussagen
- Im Vergleich zu psychosozialen Maßnahmen allein ist die zusätzliche Gabe von Medikamenten für Menschen mit einer Alkoholkonsumstörung (engl.: „alcohol use disorder“, AUD) wahrscheinlich sicher und hilfreich bei der Reduzierung des Alkoholkonsums.
- Aufgrund der begrenzten Anzahl verfügbarer Studien wissen wir nicht, ob eine Kombination aus psychosozialen Maßnahmen und Medikamenten im Vergleich zu Medikamenten allein, zu keiner Behandlung oder zur üblichen Versorgung für Menschen mit AUD hilfreich ist.
- Es sind weitere Studien erforderlich, die die Wirkungen kombinierter Maßnahmen im Vergleich zu Medikamenten allein, keiner Behandlung oder der üblichen Versorgung untersuchen.
Was ist eine Alkoholkonsumstörung (AUD)?
Eine Alkoholkonsumstörung (engl.: „alcohol use disorder“, AUD) ist eine psychische Erkrankung, bei der Betroffene ihren Alkoholkonsum nicht kontrollieren können. Es kommt zu häufigen Episoden des unkontrollierten Alkoholkonsums, was mit einem erhöhten Risiko für Autounfälle, vorzeitigen Tod und Krankheiten wie Krebs, Leberzirrhose und neurologische Störungen verbunden ist.
Wie wird die AUD behandelt?
Psychosoziale Maßnahmen und Medikamente werden eingesetzt, um Menschen mit AUD zu helfen, ihren Alkoholkonsum zu reduzieren. Die folgenden psychosoziale Maßnahmen werden häufig bei der Behandlung von Menschen mit AUD eingesetzt:
- Kognitive Verhaltensmaßnahmen. Diese zielen darauf ab, dass Betroffene ihre negativen Gedanken und Überzeugungen sowie unerwünschte Verhaltensweisen erkennen und ändern. Dafür werden Verhaltensaufgaben und -kompetenzen zum Umgang mit dem Verlangen nach Alkoholkonsum eingesetzt;
- Maßnahmen des Kontingenzmanagements. Diese zielen darauf ab, Personen, die ihren Alkoholkonsum reduzieren, mit Geld, Gutscheinen oder Preisen zu belohnen;
- Motivierende Gesprächsführung. Diese hat das Ziel, die Motivation zur Reduzierung des Alkoholkonsums zu steigern;
- Zwölf-Schritte-Programme. Das sind Maßnahmen, die auf den Methoden der Anonymen Alkoholiker basieren und die Teilnahme an Sitzungen der Anonymen Alkoholikern fördern.
Von den verfügbaren Medikamenten sind die folgenden in den USA und bzw. oder in der Europäischen Union genehmigt:
- Acamprosat (empfohlen zur Aufrechterhaltung der Abstinenz);
- Disulfiram (empfohlen zur Aufrechterhaltung der Abstinenz);
- Naltrexon (empfohlen zum Erreichen und Aufrechterhalten der Abstinenz und zur Reduzierung des Alkoholkonsums).
Was wollten wir herausfinden?
Wir wollten herausfinden, ob eine Kombination aus Medikamenten und psychosozialen Maßnahmen wirksamer ist als psychosoziale Maßnahmen allein, Medikamente allein oder die übliche Versorgung (Aufklärung oder Informationen über Alkoholkonsum), um Menschen mit AUD zu helfen, ihren Alkoholkonsum zu reduzieren oder einzustellen.
Wie gingen wir vor?
Wir suchten nach Studien, in denen die Teilnehmenden nach dem Zufallsprinzip einer von zwei oder mehr Behandlungsgruppen zugewiesen wurden und in denen die Kombination (Medikamente plus psychosoziale Maßnahmen) mit einer psychosozialen Maßnahme allein, mit Medikamenten allein oder mit der üblichen Versorgung verglichen wurde. Wir fassten die Ergebnisse der Studien zusammen und bewerteten die Vertrauenswürdigkeit der Evidenz, basierend auf Faktoren wie Studienmethoden oder Studiengröße.
Was fanden wir?
Wir fanden 21 Studien mit 4746 Patient*innen mit AUD, die etwa 4 Monate lang ambulant behandelt wurden.
Bei den Teilnehmenden handelte es sich überwiegend um Männer im Alter von ungefähr 44 Jahren, die angaben, an etwa 70 % der Tage ungefähr 12 alkoholische Getränke pro Tag zu trinken. Die Studien wurden in den USA, Europa und Kanada durchgeführt. Die meisten Studien wurden mit öffentlichen Mitteln finanziert.
Wir fanden 20 Studien (4498 Teilnehmende), in denen eine Kombination aus pharmakologischen und psychosozialen Maßnahmen mit einer alleinigen psychosozialen Intervention verglichen wurde. Wir fanden nur eine begrenzte Anzahl von Studien und Teilnehmenden, die die kombinierte Behandlung mit einer alleinigen medikamentösen Behandlung (3 Studien; 1871 Teilnehmende) oder der Standardversorgung (2 Studien; 1623 Teilnehmende) verglichen. In den meisten Fällen bestand die kombinierte Behandlung aus einer kognitiven Verhaltenstherapie als psychosoziale Maßnahme und Naltrexon als Medikament.
Im Vergleich zu psychosozialen Maßnahmen allein verringert eine kombinierte Behandlung wahrscheinlich die Zahl der Personen, die über starken Alkoholkonsum berichten und erhöht möglicherweise die Zahl der Personen, die dauerhaft abstinent bleiben. Die kombinierte Behandlung hat wahrscheinlich nur geringe oder gar keine Auswirkungen auf die Zahl der Abstinenztage, das Risiko schwerwiegender unerwünschter Wirkungen (Tod oder Ereignisse, die eine Krankenhauseinweisung erfordern) und die Zahl der Personen, die die Behandlung nicht abschließen. Sie hat möglicherweise wenig bis keine Auswirkungen auf den Anteil der Tage, an denen Betroffene große Mengen Alkohol konsumieren, auf die Anzahl der alkoholischen Getränke pro Tag und auf das Risiko unerwünschter Wirkungen.
Wir sind unsicher, ob eine kombinierte Behandlung im Vergleich zur alleinigen Einnahme von Medikamenten die Anzahl der alkoholischen Getränke pro Tag verringert. Sie hat möglicherweise nur geringe bis gar keine Wirkungen auf den Anteil der Abstinenztage und auf die Zahl der Personen, die die Behandlung aus irgendeinem Grund nicht abschließen. Wir sind unsicher, wie sie sich im Gegensatz zu Medikamenten allein auf die Zahl der Personen auswirkt, die eine kontinuierliche Abstinenz aufrechterhalten, auf diejenigen, die große Mengen Alkohol konsumieren, und auf diejenigen, die die Behandlung aufgrund unerwünschter Wirkungen nicht beenden.
Wir sind auch unsicher, welche Wirkungen die kombinierte Behandlung im Vergleich zur üblichen Versorgung auf den Anteil der Abstinenztage hat und auf die Zahl der Personen, die große Mengen Alkohol konsumieren oder die die Behandlung nicht abschließen.
Einschränkungen der Evidenz
Unsere Ergebnisse gelten eventuell nicht für alle verschiedene Arten von Personen mit AUD, für alle psychosozialen und pharmakologischen Interventionen und für alle Länder. In den Studien wurde nicht jede verfügbare Behandlung für AUD untersucht und sie wurden hauptsächlich in den USA und Europa durchgeführt.
Wie aktuell ist die vorliegende Evidenz?
Die Evidenz ist auf dem Stand von November 2023.
M. Zeitler, F. Halter, freigegeben durch Cochrane Deutschland