Hintergrund
Wir haben diesen Review durchgeführt, um herauszufinden, ob misshandelte Frauen dadurch erkannt werden können, indem alle Frauen, die in eine Gesundheitseinrichtung kommen, nach häuslicher Gewalt durch den aktuellen oder einen früheren Partner befragt werden - dies mit dem Ziel, ihnen Unterstützung anzubieten und sie an Betreuungsdienste zu verweisen. Ferner wollten wir wissen, ob sie dadurch später weniger Gewalt erfahren, sich ihre Gesundheit verbessert und es ihnen im Vergleich zur Gesundheitsversorgung, die Frauen normalerweise erhalten, nicht schadet.
Frauen, die körperliche, seelische oder sexuelle Gewalt von einem Partner oder Ex-Partner erfahren haben, haben oft eine schlechte Gesundheit, Probleme während der Schwangerschaft und sterben früher. Auch ihre Kinder und Familien können darunter leiden. Missbrauchte Frauen kommen oft in Gesundheitseinrichtungen. Manche Leute sprechen sich dafür aus, dass Gesundheitsfachleute routinemäßig alle Frauen nach häuslicher Gewalt befragen sollten. Ihr Argument ist, dass Früherkennungsmassnahmen (Screening) Frauen, die sonst nichts sagen würden, dazu ermutigen könnte, über den Missbrauch zu reden bzw. ihre eigene Erfahrung als „Missbrauch“ zu erkennen. Die Gesundheitsfachleute würden dadurch in die Lage versetzt, sofortige Unterstützung anzubieten bzw. die Frauen an spezialisierte Hilfssangebote zu überweisen. Manche Behörden und Gesundheitsorganisationen empfehlen ein Screening aller Frauen nach häuslicher Gewalt. Andere führen an, dass ein solches Screening gezielt bei Risikogruppen durchgeführt werden sollte, z.B. bei schwangeren Frauen, die zur Voruntersuchung kommen.
Studienmerkmale
Wir untersuchten Studien bis zum 17. Februar 2015. Wir berücksichtigten Studien mit Frauen von über 16 Jahren in beliebigen Gesundheitseinrichtungen. Unsere Suche ergab 12.369 Studien. Wir schlossen letztendlich 13 Studien ein, die die oben genannten Kriterien erfüllten. Insgesamt hatten 14.959 Frauen der Teilnahme an diesen Studien zugestimmt. Die Studien fanden in verschiedenen Gesundheitseinrichtungen statt: Sprechstunden / Ambulanzen zur Geburtsvorbereitung oder für Frauen, Entbindungsstationen, Notaufnahmen und Grundversorgungszentren. Durchgeführt wurden sie vor allem in städtischen Gebieten in einkommensstarken Ländern mit Gesetzen gegen häusliche Gewalt sowie etablierten Betreuungsangeboten, an die die Gesundheitsfachleute die Frauen überweisen konnten. Alle eingeschlossenen Studien wurden von einem externen Geldgeber finanziert. Der Großteil der Finanzierung kam von der öffentlichen Hand und Forschungsgemeinschaften. Eine kleinere Anzahl Studien erhielt Fördermittel von Stiftungen (Trusts) und Universitäten.
Hauptergebnisse und Qualität der Evidenz
Acht Studien mit 10.074 Frauen untersuchten, ob die Gesundheitsfachleute nach Missbrauch fragten, darüber sprachen und/oder Missbrauch in den Akten der teilnehmenden Frauen dokumentierten. Die Anzahl der Frauen, bei denen auf diese Art ein Missbrauch erkannt wurde, war doppelt so hoch wie in der Vergleichsgruppe. Die Qualität der Evidenz hierfür war moderat. Wir betrachteten Untergruppen und stellten zum Beispiel fest, dass Gewalth bei schwangeren Frauen mit der Früherkennungsmassnahme viermal wahrscheinlicher erkannt wurde als bei schwangeren Frauen in einer Vergleichsgruppe. Wir stellten nicht fest, dass die Gesundheitsfachleute mehr Überweisungen machten. Allerdings wurden diese nur in zwei Studien auf die gleiche Weise gemessen, wobei diese Studien einige Schwächen aufwiesen. Wir konnten nicht sagen, ob durch das Screening vermehrt spezialisierte Stellen in Anspruch genommen wurden. Außerdem wurde in keiner Studie die Kostenwirksamkeit eines Screenings untersucht. Wir versuchten auch herauszufinden, ob sich bestimmte Methoden besser zur Feststellung von Missbrauch eignen. So könnte man zum Beispiel annehmen, dass die Frauen eher mittels Computer etwas mitteilen würden. Jedoch fanden wir keine Methode, die besser wäre als andere. Wir stellten fest, dass das wiederholte Auftreten von Gewalt in den Studien insgesamt kaum untersucht wurde: nur zwei Studien beschäftigten sich damit und stellten keine Wirkung fest. Gleiches gilt für die Gesundheit der Frauen: nur eine Studie untersuchte diesen Endpunkt und stellte nach 18 Monaten keinen Unterschied fest. Und schließlich umfassten viele Studien kurzfristige Bewertungen von Endpunkten zum möglichen Schaden, berichteten aber über keine.
Es besteht eine Diskrepanz zwischen der erhöhten Anzahl von Frauen, die bei der Früherkennung durch Gesundheitsfachleute erfasst werden, und der hohen Anzahl von Frauen, die in Gesundheitseinrichtungen kommen und tatsächlich von häuslicher Gewalt betroffen sind. Es wird mehr Evidenz benötigt, um zu zeigen, dass das Screening die Überweisungen und die Kontaktaufnahme der Frauen mit Betreuungsangeboten erhöht, die Gewalt verringert und/oder sich positiv auf die Gesundheit und das Wohlbefinden der Frauen auswirkt. Auf dieser Grundlage kamen wir zu dem Schluss, dass die Evidenz nicht ausreicht, um eine Befragung nach Missbrauch bei allen Frauen in Gesundheitseinrichtungen zu empfehlen. Zum jetzigen Zeitpunkt könnte es wirksamer sein, Gesundheitsfachleute so zu schulen, dass sie in der Lage sind, Frauen, die Zeichen von Missbrauch aufweisen bzw. zu einer Risikogruppe gehören, Unterstützung und Informationen zukommen zu lassen und mit ihnen Pläne für ihre Sicherheit aufzustellen.
Freigegeben durch Cochrane Schweiz