Fragestellung des Reviews
Es sollten die Auswirkungen des intraoperativen Neuromonitorings im Vergleich zur visuellen Nervenidentifikation zur Vermeidung von Stimmnervverletzungen während einer Schilddrüsenoperation bei Erwachsenen beurteilt werden.
Hintergrund
Die Schilddrüsenresektion ist eine Operation, bei der ein Teil oder die gesamte Schilddrüse entfernt wird, um gutartige Erkrankungen (z.B. multinodulärer Kropf) oder Krebs zu heilen. Die Stimmnerven sind für die Bewegung der Stimmbänder verantwortlich und können während einer Schilddrüsenoperation leicht verletzt werden, was zu einer ein- oder zweiseitigen Stimmbandlähmung führt, die in Sprachstörungen (Dysphonie = Stimmbildungsstörung), Atembeschwerden oder beidem resultiert. Dies wiederum könnte zu einer verminderten gesundheitsbezogenen Lebensqualität und zu einer dauerhaften Invalidität führen. Die visuelle Identifizierung von Stimmnerven während der Operation ist seit langem ein Standardverfahren zur Vermeidung ihrer Verletzung. In jüngster Zeit wurde das intraoperative Neuromonitoring, welches die Nerven mit Hilfe einer Elektrode identifiziert eingeführt, um dem Chirurgen zu helfen, die Stimmnerven zu finden und zu schützen.
Studienmerkmale
Wir suchten nach randomisierten kontrollierten Studien (Studien, bei denen die Teilnehmer zufällig einem, zwei oder mehreren Behandlungsarmen zugeordnet werden), wobei wir intraoperatives Neuromonitoring plus visuelle Nervenidentifikation mit rein visueller Nervenidentifikation verglichen. Wir haben nur Studien eingeschlossen, die Daten von Teilnehmern über 18 Jahre, welche sich einer Schilddrüsenoperation unterzogen, berichtet haben. Studien mit Teilnehmern nach einer früheren Halsoperation oder einer wiederholten Lähmung des Stimmnervs haben wir ausgeschlossen. Wir haben fünf Studien mit insgesamt 1558 Teilnehmern eingeschlossen; 781 Teilnehmer wurden dem intraoperativen Neuromonitoring zugeteilt und 777 Teilnehmer wurden der reinen visuellen Nervenidentifikation zugeordnet. Zwei Studien wurden in Polen und je eine Studie in der Türkei, China und Korea durchgeführt. Das Durchschnittsalter der Teilnehmer lag zwischen 41,7 und 51,9 Jahren.
Die Evidenz ist auf dem Stand vom 21. August 2018.
Hauptergebnisse
Beim Vergleich des intraoperativen Neuromonitorings mit der reinen visuellen Nervenidentifikation konnte keine verlässliche Evidenz für einen Vor- oder Nachteil hinsichtlich einer dauerhaften oder zeitlich begrenzten Stimmnerven-Lähmung, sonstiger Nebenwirkungen oder der Operationsdauer gefunden werden. In drei der fünf eingeschlossenen Studien wurden Daten zur Sterblichkeit (aufgrund jeglicher Ursache) erhoben; es wurden keine Todesfälle berichtet. Keine der Studien berichtete über gesundheitsbezogene Lebensqualität oder sozioökonomische Auswirkungen (z.B. Kosten im Zusammenhang mit dem Krankenhausaufenthalt). Wir benötigen Studien, die gut konzipiert, durchgeführt, analysiert und berichtet werden; mit einer größeren Teilnehmerzahl und längeren post-operativen Beobachtungszeiträumen, bei welchen die modernste Neuromonitoring-Technologie in Verbindung mit neuesten Operationstechniken angewendet wird.
Vertrauenswürdigkeit der Evidenz
Wir sind sehr unsicher bezüglich der Auswirkungen eines intraoperativen Neuromonitorings im Vergleich zur rein visuellen Nervenidentifikation hinsichtlich einer Vermeidung der Stimmnervenschädigung während einer Schilddrüsenoperation. Es existieren hierzu nur wenige Studien mit einigen systematischen Fehlern sowie unpräzisen Ergebnissen.
Ergebnisse dieses systematischen Reviews mit Metaanalyse deuten für alle untersuchten Endpunkten darauf hin, dass es derzeit keine schlüssige Evidenz für die Über-oder Unterlegenheit von IONM gegenüber einer rein visuellen Nervidentifizierung gibt. Wir benötigen RCTs, die einerseits gut konzipiert, durchgeführt, analysiert und berichtet werden und andererseits, mehr Teilnehmer rekrutieren, diese länger nachbeobachten und bei denen der Einsatz neuester IONM-Technologie in Verbindung mit den neuesten Operationstechniken angewendet wird.
Verletzungen des Stimmnervs (rückläufiger Kehlkopfnerv) sind eine der wesentlichen postoperativen Komplikationen bei Schilddrüsen- und Nebenschilddrüsenoperationen. Eine Schädigung dieses Nervs kann zu einer vorübergehenden oder dauerhaften Lähmung führen, was mit Parese oder Paralyse der Stimmbänder in Verbindung steht. Die visuelle Identifizierung des Stimmnervs während Operationen der Schilddrüsen- und Nebenschilddrüsen, ist ein gängiges Verfahren zur Vorbeugung von Nervenverletzungen. Um die Lokalisation der Nerven während der Operation zu erleichtern und dadurch die Verletzung dieser zu vermeiden, wurde jüngst das intraoperative Neuromonitoring (IONM) eingeführt. IONM ermöglicht die Identifizierung der Nerven mittels einer Elektrode. Hierbei wird zur Messung der Nervenreaktion das elektrische Feld in ein akustisches Signal umgewandelt.
Es sollte untersucht werden, welche Auswirkungen IONM im Vergleich zur visuellen Nervidentifizierung während Schilddrüsenoperationen bei Erwachsenen zur Vorbeugung von Verletzungen des Stimmnervs hat.
Wir haben CENTRAL, MEDLINE, Embase, ICTRP Search Portal und ClinicalTrials.gov durchsucht. Das Datum der letzten Suche in allen Datenbanken war der 21. August 2018. Wir haben keine Einschränkungen hinsichtlich der Sprache vorgenommen.
Wir schlossen randomisierte kontrollierte Studien (RCTs) ein, die IONM plus visuelle Nervidentifizierung mit rein visueller Nervidentifizierung verglichen, um Stimmnervverletzungen während einer Schilddrüsenoperation bei Erwachsenen vorzubeugen.
Zwei Review-Autoren prüften unabhängig voneinander Titel und Abstracts auf ihre Relevanz. Ein Review-Autor entschied über den Einschluss von Studien, extrahierte Daten und nahm die ‚Risiko für Bias‘-Bewertung vor. Diese Schritte wurden von einem zweiten Review-Autor überprüft. Für dichotome Endpunkte haben wir jeweils das relative Risiko (RR) mit 95 % Konfidenzintervallen (KIs) berechnet. Für kontinuierliche Endpunkte haben wir Mittelwertdifferenzen (MDs) mit 95% KIs berechnet. Zur Bewertung der Sicherheit der Evidenz bzw. des Vertrauens in die Effektschätzer haben wir das GRADE-Instrument genutzt.
Fünf RCTs mit 1.558 Teilnehmern erfüllten die Einschlusskriterien (per Zufallsverfahren wurden dabei 781 der Teilnehmer dem IONM und 777 der rein visuellen Identifizierung der Nerven zugeteilt). Zwei der Studien wurden in Polen und je eine Studie in China, Korea sowie der Türkei durchgeführt. Ein- und Ausschlusskriterien variierten zwischen den Studien. So war beispielsweise bei drei der Studien eine vorhergehende Schilddrüsen- oder Nebenschilddrüsenoperation ein Ausschlusskriterium, bei den beiden anderen jedoch ein spezifisches Einschlusskriterium. Im Gegensatz dazu war dies bei einer anderen Studie ein spezifisches Einschlusskriterium. Weitere Ausschlusskriterien in drei der Studien waren eine Dissektion entweder im vorderen oder im seitlichen Bereich des Halses, und Morbus Basedow. Die durchschnittliche Dauer der Nachbeobachtung reichte bei den Studien von 6 bis 12 Monaten. Das Durchschnittsalter der Teilnehmer lag zwischen 41,7 und 51,9 Jahren.
Beim Vergleich von IONM und der rein visuellen Nervidentifizierung konnte die Evidenz weder eindeutig Vor- oder Nachteile bezüglich einer permanenten Lähmung des Stimmnervs (RR 0,77, 95 % KI 0,33 bis 1,77; P = 0,54; 4 Studien; 2.895 gefährdete Nerven; sehr niedrige Sicherheit der Evidenz), noch bezüglich einer vorübergehenden Lähmung des Stimmnervs (RR 0,62, 95 % KI 0,35 bis 1,08; P = 0,09; 4 Studien; 2.895 gefährdete Nerven; sehr niedrige Sicherheit der Evidenz) zeigen. Gesundheitsbezogene Lebensqualität wurde in keiner der Studien als Endpunkt berichtet. Beim Endpunkt vorübergehender Hypoparathyreoidismus (unerwünschtes Ereignis) trat kein wesentlicher Unterschied zwischen Interventions- und Vergleichsgruppe auf (RR 1,25; 95 % KI 0,45 bis 3,47; P = 0,66; 2 Studien; 286 Teilnehmer; sehr niedrige Sicherheit der Evidenz). Mit beiden Verfahren (IONM und rein visuelle Nervidentifizierung) war die Operationszeit ähnlich (MD 5,5 Minuten, 95 % KI -0,7 bis 11,8; P = 0,08; 3 Studien; 1251 Teilnehmer; sehr niedrige Sicherheit der Evidenz). In drei der fünf eingeschlossenen Studien wurden Daten zur Gesamtmortalität erfasst: es wurden keine Todesfälle berichtet. In keiner der Studien wurden sozioökonomische Auswirkungen berichtet. Die Sicherheit der in diesem Review erfassten Evidenz, war größtenteils sehr niedrig, was hauptsächlich durch Risiko für Bias, einem hohen Maße an unzureichender Präzision durch weite Konfidenzintervalle, sowie einer erheblichen Heterogenität zwischen den Studien zustande kam.
PLS: F. Plenzig, Abstract: S. Schneider, freigegeben durch Cochrane Deutschland.