Selektiver im Vergleich mit routinemäßigem Einsatz des Dammschnitts bei der vaginalen Entbindung

Worum geht es?

Eine normale Entbindung kann zu Rissen in der Vagina und den umliegenden Geweben führen, meist beim Durchtritt des Kopfes. Manchmal ziehen sich diese Risse bis zum Rektum (Darmausgang). Sie lassen sich chirurgisch beheben, erfordern aber eine gewisse Heilungszeit. In der Vergangenheit haben Ärzte empfohlen, mit der Schere oder einem Skalpell einen chirurgischen Einschnitt im Dammgewebe vorzunehmen, um schwere Risse zu vermeiden und die Geburt zu erleichtern. Diese Maßnahme, als Dammschnitt oder Episiotomie bekannt, gehört in einigen Ländern zur routinemäßigen Standardversorgung. Sowohl ein Riss als auch ein Dammschnitt müssen genäht werden und können zu starken Schmerzen, Blutungen, Infektionen und Schmerzen beim Geschlechtsverkehr führen sowie langfristig zu einer Harninkontinenz beitragen.

Warum ist das wichtig?

Ein Dammschnitt muss genäht werden und sein Nutzen und Schadenspotenzial als Teil einer Routineversorgung bei normalen Entbindungen ist nach wie vor unklar. Insbesondere müssen wir wissen, ob er tatsächlich schwere Risse verhindert, da die Frauen sonst unnötig einem operativen Eingriff, Schmerzen und in einigen Fällen langfristigen Problemen unterworfen werden. Die Frage, ob ein routinemäßiger Dammschnitt durchgeführt werden soll, ist wichtig für die klinische Praxis und für Gesundheit und Wohlergehen von Frauen und Kindern.

Welche Evidenz haben wir gefunden?

Zur Vorbereitung dieser Ausgabe des Reviews aktualisierten wir die Methoden und suchten am 14. September 2016 in der medizinischen Literatur nach Evidenz. Der Review enthält nun 11 randomisierte kontrollierte Studien (mit 5977 Frauen), in denen der Dammschnitt nach Bedarf (selektiver Dammschnitt) bei Frauen mit einem geringen Risiko für eine instrumentelle Entbindung (vaginale Entbindung mit Zange oder Saugglocke) im Hinblick auf Nutzen und schädliche Auswirkungen auf Mutter und Kind mit dem routinemäßigen Dammschnitt verglichen wurde.

Die Studien stammen aus zehn verschiedenen Ländern. Unter den Frauen, bei denen das Gesundheitspersonal nur selektive Dammschnitte durchführte, kam es in bis zu 30 % weniger Fällen zu einer schweren Dammverletzung bei der Geburt als bei Frauen, bei denen ein routinemäßiger Dammschnitt vorgenommen wurde (acht Studien, 5375 Frauen, Evidenz von niedriger Vertrauenswürdigkeit). Wir wissen nicht, ob es zwischen beiden Gruppen einen Unterschied beim durchschnittlichen Blutverlust gibt (zwei Studien, Evidenz von sehr niedriger Vertrauenswürdigkeit). Es besteht wahrscheinlich kein Unterschied bezüglich des Auftretens von Apgar-Werten unter 7 nach fünf Minuten, da es in beiden Gruppen nicht zu solchen Vorfällen kam (Evidenz von moderater Vertrauenswürdigkeit). Wir wissen nicht, ob es einen Unterschied in der Anzahl von Frauen mit mäßigen oder starken Dammschmerzen drei Tage nach der Geburt gibt (eine Studie, 165 Frauen, Evidenz von sehr niedriger Vertrauenswürdigkeit), aber eine sorgfältige Beurteilung der Schmerzen der Frauen wurde in keiner der eingeschlossenen Studien vorgenommen. Es könnte einen geringen oder keinen Unterschied bei der Anzahl der Frauen mit Infektion am Dammgewebe geben (zwei Studien, Evidenz von niedriger Vertrauenswürdigkeit) und es besteht wahrscheinlich ein geringer oder kein Unterschied im Hinblick auf die Frauen, die sechs Monate oder länger nach der Geburt über schmerzhaften Geschlechtsverkehr klagen (drei Studien, 1107 Frauen, Evidenz von moderater Vertrauenswürdigkeit). Bei der Harninkontinenz sechs Monate oder länger nach der Entbindung könnte es einen geringen oder keinen Unterschied zwischen den Gruppen geben. Eine Studie berichtete über Scheidenprolapse drei Jahre nach der Geburt; hier war kein eindeutiger Unterschied zwischen den Gruppen festzustellen (Evidenz von geringer Vertrauenswürdigkeit). Von anderen wichtigen Endpunkten im Zusammenhang mit langfristigen Wirkungen wurde in diesen Studien nicht berichtet (Harnfistel, Rektalfistel und Stuhlinkontinenz).

Eine Studie untersuchte den selektiven Dammschnitt im Vergleich mit dem routinemäßigen Dammschnitt bei Frauen, bei denen eine vaginal-operative Entbindung vorgesehen war. Die Ergebnisse zeigten keinen eindeutigen Unterschied bei den schweren Dammverletzungen zwischen dem restriktiven und dem routinemäßigen Einsatz des Dammschnitts.

Über die Meinungen der Frauen zu den unterschiedlichen Strategien wurde nicht berichtet.

Was bedeutet das?

Insgesamt zeigen die Ergebnisse, dass der selektive Einsatz des Dammschnitts bei Frauen (sofern eine normale Entbindung ohne Zange erwartet wird) dazu führt, dass es bei weniger Frauen zu schweren Dammverletzungen kommt. Die Begründung für die routinemäßige Durchführung von Dammschnitten, nämlich die Verhinderung schwerer Dammverletzungen, wird durch die aktuelle Evidenz also nicht gestützt und wir konnten keinen Nutzen des routinemäßigen Dammschnitts für Kind oder Mutter feststellen.

Es sind weitere Forschungsarbeiten erforderlich, um eine Entscheidungsgrundlage im Fall von Frauen zu schaffen, bei denen eine instrumentelle Entbindung geplant ist, da in diesen Fällen häufig zu einem Dammschnitt geraten wird. Die Endpunkte könnten besser standardisiert und gemessen werden.

Anmerkungen zur Übersetzung: 

S. Schmidt-Wussow, freigegeben durch Cochrane Deutschland

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