Können Musikinterventionen Menschen mit Krebserkrankungen helfen?

Hintergrund
Krebs kann zu großem emotionalen, körperlichen und sozialen Leiden führen. Musiktherapien und musikmedizinische Interventionen werden eingesetzt, um Symptome und Behandlungsnebenwirkungen zu lindern und psychosoziale Bedürfnisse bei Menschen mit Krebs anzusprechen. Bei musikmedizinischen Interventionen hören Patienten einfach vorab aufgezeichnete Musik, die von einer medizinischen Fachperson bereitgestellt wird. Musiktherapien erfordern die Durchführung einer Musikintervention durch einen ausgebildeten Musiktherapeuten, das Vorhandensein eines therapeutischen Prozesses und den Einsatz von persönlich zugeschnittenen Musikerlebnissen.

Ziel des Reviews
Dieser Review ist eine Aktualisierung eines früheren Cochrane Reviews aus dem Jahr 2016, in den 52 Studien eingeschlossen wurden. Für diese Review-Aktualisierung suchten wir nach zusätzlichen Studien, in denen die Wirkung von Musikinterventionen auf psychische und körperliche Behandlungsergebnisse bei Menschen mit Krebserkrankungen untersucht wurden. Wir suchten bis April 2020 nach Studien.

Was sind die wesentlichen Ergebnisse?
Wir fanden 29 neue Studien, sodass die Evidenz in dieser Review-Aktualisierung nun auf 81 Studien mit 5576 Teilnehmenden beruht. Von den 81 Studien schlossen 74 Studien Erwachsene und 7 Kinder ein. Die Ergebnisse deuten darauf hin, dass Musiktherapien und musikmedizinische Interventionen bei Erwachsenen mit Krebserkrankungen möglicherweise eine positive Wirkung auf Ängste, Depressionen, die Hoffnung, Schmerzen, Müdigkeit, die Herzfrequenz und den Blutdruck haben. Musiktherapie, nicht jedoch musikmedizinische Interventionen, verbessern möglicherweise die Lebensqualität und das Ausmaß von Erschöpfung erwachsener Patienten. Wir fanden keine Evidenz dafür, dass Musikinterventionen die Stimmung, das Leiden oder die körperliche Leistungsfähigkeit verbessern, jedoch wurden diese Endpunkte nur in wenigen Studien untersucht. Wir konnten keine Schlussfolgerungen über die Wirkung von Musikinterventionen auf Immunfunktionen, die Belastbarkeit, das spirituelle Wohlbefinden oder die Kommunikation bei Erwachsenen formulieren, da zu diesen Aspekten nicht genügend Studien verfügbar waren. Aufgrund der geringen Anzahl von Studien konnten wir keine Schlussfolgerungen für Kinder formulieren. Aus diesem Grund ist mehr Forschung notwendig.

Insgesamt war der Nutzen von musiktherapeutischen Interventionen über die Studien hinweg einheitlicher als der von musikmedizinischen Interventionen, was zu einem größeren Vertrauen in die Behandlungswirkung von musiktherapeutischen Interventionen, die von einem ausgebildeten Musiktherapeuten durchgeführt wurden, führte.

Es wurden keine unerwünschten Wirkungen von Musikinterventionen berichtet.

Qualität der Evidenz
Die meisten Studien wiesen ein hohes Risiko für Bias auf, daher müssen diese Ergebnisse mit Vorsicht interpretiert werden. Wir konnten in den eingeschlossenen Studien keine Interessenkonflikte feststellen.

Was sind die Schlussfolgerungen?
Wir schlussfolgern, dass Musikinterventionen bei Erwachsenen mit Krebserkrankungen wahrscheinlich positive Wirkungen auf Ängste, Depressionen, die Hoffnung, Schmerzen und Müdigkeit haben können. Darüber hinaus kann Musik eine geringfügige positive Wirkung auf die Herzfrequenz und den Blutdruck haben. Die Verringerung von Ängsten, Depressionen, Müdigkeit und Schmerzen sind bedeutsame Ergebnisse für Menschen mit Krebserkrankungen, da sie sich auf die Gesundheit und die allgemeine Lebensqualität auswirken.

Schlussfolgerungen der Autoren: 

Dieser systematische Review deutet darauf hin, dass Musikinterventionen im Vergleich zur üblichen Behandlung positive Wirkungen auf Ängste, Depressionen, die Hoffnung, Schmerzen und Müdigkeit bei Erwachsenen mit Krebserkrankungen haben können. Die Ergebnisse zweier Studien deuten darauf hin, dass sich Musikinterventionen möglicherweise positiv auf Ängste von Kindern mit Krebserkrankungen auswirken. Es wurden zu wenige Studien mit pädiatrischen Teilnehmenden eingeschlossen, um Schlussfolgerungen über den Nutzen der Behandlung mit Musik für andere Endpunkte formulieren zu können. Bei mehreren Endpunkten führten musiktherapeutische Interventionen, die von einem ausgebildeten Musiktherapeuten durchgeführt wurden, über die Studien hinweg zu übereinstimmenden Ergebnissen, während dies bei musikmedizinischen Interventionen nicht der Fall war. Darüber hinaus wurde für musiktherapeutische Interventionen eine Wirkung auf die Lebensqualität und Müdigkeit festgestellt, jedoch nicht für musikmedizinische Interventionen. Die meisten Studien wiesen ein hohes Risiko für Bias und eine niedrige oder sehr niedrige Vertrauenswürdigkeit der Evidenz auf; daher sind diese Ergebnisse mit Vorsicht zu interpretieren.

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Hintergrund: 

Dies ist eine Aktualisierung des in der Cochrane Library 2016, Ausgabe 8, veröffentlichten Reviews. Eine Krebserkrankung kann zu großem emotionalen, körperlichen und sozialen Leiden führen. Musikinterventionen wurden eingesetzt, um Symptome und Nebenwirkungen der Behandlung bei Menschen mit Krebserkrankungen zu lindern. Dieser Review umfasst sowohl Musikinterventionen, definiert als Musiktherapien, die von ausgebildeten Musiktherapeuten angeboten werden, als auch musikmedizinische Interventionen, definiert als das Hören von vorab aufgezeichneter Musik, die von medizinischen Fachpersonen angeboten werden.

Zielsetzungen: 

Das Ziel des Reviews war die Bewertung und der Vergleich der Wirkungen von musiktherapeutischen und musikmedizinischen Interventionen auf psychische und physische Endpunkte bei Menschen mit Krebserkrankungen.

Suchstrategie: 

Wir durchsuchten das Cochrane Central Register of Controlled Trials (CENTRAL; 2020, Ausgabe 3) in der Cochrane Library, MEDLINE über Ovid, Embase über Ovid, CINAHL, PsycINFO, LILACS, den Science Citation Index, CancerLit, CAIRSS, Proquest Digital Dissertations, ClinicalTrials.gov, Current Controlled Trials, die RILM Abstracts of Music Literature, http://www.wfmt.info/Musictherapyworld/ und das National Research Register. Wir durchsuchten alle Datenbanken, mit Ausnahme der letzten beiden, von ihrer Gründung an bis April 2020; die beiden anderen sind nicht mehr in Betrieb, so dass wir sie bis zu ihrem Einstellungsdatum durchsuchten. Wir durchsuchten Fachzeitschriften für Musiktherapie, überprüften Referenzlisten konsultierten Experten. Es gab keine Einschränkungen hinsichtlich der Sprache.

Auswahlkriterien: 

Wir schlossen alle randomisierten und quasi-randomisierten kontrollierten Studien zu Musikinterventionen zur Verbesserung psychologischer und physischer Endpunkte bei erwachsenen und pädiatrischen Patienten mit Krebserkrankungen ein. Ausgeschlossen wurden Patienten, die sich zu diagnostischen Zwecken einer Biopsie oder Aspiration unterzogen.

Datensammlung und ‐analyse: 

Zwei Review-Autoren extrahierten unabhängig voneinander die Daten und bewerteten das Risiko für Bias. Soweit möglich, wurden die Ergebnisse unter Verwendung von Mittelwertdifferenzen und standardisierten Mittelwertdifferenzen in Metaanalysen dargestellt. Wir verwendeten Posttest-Ergebnisse. Bei signifikanten Unterschieden zwischen Ausgangswerten wurden die Veränderungswerte (engl. Change Scores) herangezogen. Wir führten getrennte Meta-Analysen für Studien mit erwachsenen Teilnehmenden und für solche mit pädiatrischen Teilnehmenden durch. Die für den Review interessierenden primären Endpunkte umfassten psychologische Endpunkte und körperliche Symptome, die sekundären Endpunkte physiologische Reaktionen, die körperliche Funktionsfähigkeit, die Einnahme von Anästhetika und Analgetika, die Dauer von Krankenhausaufenthalten, die soziale und spirituelle Unterstützung, die Kommunikation und die Lebensqualität (QoL). Zur Bewertung der Qualität der Evidenz wurde der GRADE-Ansatz genutzt.

Hauptergebnisse: 

Wir identifizierten 29 neue Studien, die in diese Aktualisierung eingeschlossen wurden. Insgesamt beruht die Evidenz dieses Reviews auf 81 Studien mit insgesamt 5576 Teilnehmenden. Von den 81 Studien schlossen 74 Studien erwachsene (N = 5306) und sieben Studien pädiatrische (N = 270) onkologische Patienten ein. Wir kategorisierten 38 Studien als musiktherapeutische Studien und 43 als musikmedizinische Studien. Die Interventionen wurden mit der üblichen Versorgung verglichen.

Psychologische Endpunkte

Die Ergebnisse weisen darauf hin, dass Musikinterventionen bei Erwachsenen mit Krebserkrankungen möglicherweise eine große angstreduzierende Wirkung haben, mit einer berichteten durchschnittlichen Angstreduktion von 7,73 Einheiten (17 Studien, 1381 Teilnehmende; 95 % Konfidenzintervall (KI) -10,02 bis -5,44; Evidenz von sehr niedriger Vertrauenswürdigkeit) auf der Spielberger State Anxiety Inventory-Skala (Bereich 20 bis 80; niedrigere Werte spiegeln eine geringere Angst wider). Die Ergebnisse wiesen zudem auf eine mäßig starke, positive Wirkung von Musikinterventionen auf Depressionen bei Erwachsenen hin (12 Studien, 1021 Teilnehmende; standardisierte Mittelwertdifferenz (SMD): -0,41, 95% KI -0,67 bis -0,15; Evidenz von sehr niedriger Vertrauenswürdigkeit). Wir fanden keine stützende Evidenz für eine Wirkung von Musikinterventionen auf die Stimmung (SMD 0,47, 95% KI -0,02 bis 0,97; 5 Studien, 236 Teilnehmende; Evidenz von sehr niedriger Vertrauenswürdigkeit). Musikinterventionen steigern möglicherweise die Hoffnung bei Erwachsenen mit Krebserkrankungen, wobei ein durchschnittlicher Anstieg von 3,19 Einheiten (95 % KI 0,12 bis 6,25) auf dem Herth Hope Index (Bereich 12 bis 48; höhere Werte spiegeln eine größere Hoffnung wider) berichtet wurde, jedoch basierte dieses Ergebnis auf lediglich zwei Studien (N = 53 Teilnehmende; Evidenz von sehr niedriger Vertrauenswürdigkeit).

Physische Endpunkte

Wir fanden eine moderate schmerzreduzierende Wirkung von Musikinterventionen (SMD -0,67, 95% KI -1,07 bis -0,26; 12 Studien, 632 erwachsene Teilnehmende; Evidenz von sehr niedriger Vertrauenswürdigkeit). Darüber hinaus hatten Musikinterventionen einen geringfügigen Behandlungseffekt auf Müdigkeit (SMD -0,28, 95% KI -0,46 bis -0,10; 10 Studien, 498 erwachsene Teilnehmende; Evidenz von sehr niedriger Vertrauenswürdigkeit).

Die Ergebnisse deuten auf einen großen Effekt von Musikinterventionen auf die Lebensqualität erwachsener Teilnehmender hin, jedoch waren die Ergebnisse über die Studien hinweg sehr uneinheitlich und die gepoolte Effektgröße ging mit einem weiten Konfidenzintervall einher (SMD 0,88, 95% KI -0,31 bis 2,08; 7 Studien, 573 Teilnehmende; die Evidenz ist sehr unsicher). Durch den Ausschluss von Studien, die ungeeignete Randomisierungsmethoden verwendeten, ergab sich eine moderate Effektgröße, die weniger heterogen war (SMD 0,47, 95% KI 0,06 bis 0,88, P = 0,02, I2 = 56%).

Eine kleine Anzahl von Studien umfasste Teilnehmende aus der pädiatrischen Onkologie. Die Ergebnisse deuten darauf hin, dass Musikinterventionen möglicherweise Ängste reduzieren, jedoch basierte dieses Ergebnis auf lediglich zwei Studien (SMD -0,94, 95% KI -1,9 bis 0,03; Evidenz von sehr niedriger Vertrauenswürdigkeit). Aufgrund der geringen Anzahl von Studien konnten wir keine Schlussfolgerungen hinsichtlich der Wirkungen von Musikinterventionen auf die Stimmung, Depressionen, die Lebensqualität, Müdigkeit oder Schmerzen bei pädiatrischen Teilnehmenden mit Krebserkrankungen formulieren.

Die Mehrzahl der in diesen aktualisierte Review eingeschlossenen Studien wies ein hohes Risiko für Bias auf, so dass die Vertrauenswürdigkeit der Evidenz insgesamt niedrig ist. Bei mehreren Endpunkten (z. B. Ängste, Depressionen, Schmerzen, Müdigkeit und Lebensqualität) stimmten die positiven Behandlungseffekte der von Musiktherapeuten durchgeführten Interventionen zwischen den Studien überein. Im Gegensatz dazu ergaben sich bei musikmedizinischen Interventionen für diese Endpunkte in den verschiedenen Studien uneinheitliche Behandlungseffekte.

Anmerkungen zur Übersetzung: 

Abstract: S. Haug, PLS: F. Aschoff, freigegeben durch Cochrane Deutschland

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