Fragestellung des Reviews
Wir bewerteten die Evidenz hinsichtlich der Anwendung einer sublingualen Immuntherapie (SLIT) bei Menschen mit Asthma und verglichen sie mit einer Placebo-Behandlung (Scheinbehandlung) oder der Standardbehandlung bei Asthma. Der Fokus lag dabei auf der Frage, ob SLIT eine effektive und sichere Behandlung für Asthma darstellt.
Hintergrund
Asthma ist eine langfristige Erkrankung, die zu Atemproblemen und Husten und in der Folge zu Asthmaanfällen führen kann. Diese können wiederum dazu führen, dass Patienten zusätzliche Medikamente einnehmen, ein Krankenhaus für die Behandlung aufsuchen oder sogar stationär in ein Krankenhaus aufgenommen werden müssen. Ungefähr 300 Millionen Menschen weltweit leiden an Asthma, wobei bei ca. der Hälfte aller Betroffenen Asthmasymptome hauptsächlich durch Allergien ausgelöst werden (z. B. Hausstaubmilben, Pollen). SLIT soll allergische Reaktionen, die Asthmasymptome auslösen, reduzieren. Dafür erhält die Person wiederholt eine Dosis mit der Substanz, auf die sie allergisch reagiert. Die Verabreichung erfolgt in Form von Tropfen oder Tabletten, die unter die Zunge gegeben werden. Derzeit ist noch nicht eindeutig geklärt, ob SLIT im Vergleich zu einer Placebo-Behandlung oder der Fortführung der normalen Asthmabehandlung wirksamer oder sicherer ist.
Studienmerkmale
Es wurden 66 Studien mit insgesamt 7.944 Teilnehmern in diesem Review berücksichtigt. Das sind 2.867 Teilnehmer mehr als beim letzten Review. Die Studiendauer variierte zwischen einem Tag und drei Jahren. Die meisten Studienteilnehmer hatten leichtes Asthma. An den Studien nahmen sowohl Männer als auch Frauen teil und etwa die Hälfte der Studien umfasste ausschließlich Kinder.
Die meisten Studien schlossen Menschen mit einer Hausstaubmilben- oder Pollenallergie ein. Die vorliegende Evidenz ist auf dem Stand vom 29. Oktober 2019.
Hauptergebnisse
Nur sehr wenige der berücksichtigten Studien erfassten die Anzahl der Personen, die aufgrund von Asthmaanfällen oder Verschlimmerungen der Asthmasymptome ins Krankenhaus gehen oder zusätzliche Medikamente nehmen mussten. Wir können daher nicht genau sagen, ob Asthmaanfälle mit SLIT reduziert werden können. Dies liegt möglicherweise daran, dass die meisten Studienteilnehmer leichtes Asthma hatten. In einigen Studien wurde über die Lebensqualität berichtet, die jedoch mit unterschiedlichen Skalen gemessen wurde, sodass nicht eindeutig war, ob SLIT eine positive Wirkung aufweist. In einigen Studien wurde berichtet, dass Menschen mit SLIT im Vergleich zu den Kontrollgruppen weniger Asthmasymptome aufwiesen und weniger Asthmamedikamente benötigten. Aufgrund der unterschiedlichen Untersuchungsmethoden war ein Vergleich oder eine Beurteilung der Genauigkeit jedoch schwierig.
Bei Menschen mit SLIT bestand keine höhere oder niedrigere Wahrscheinlichkeit für das Auftreten schwerer unerwünschter Nebenwirkungen. Diese waren jedoch allgemein sehr selten. Wir können nicht mit Sicherheit sagen, dass diese Ergebnisse auf Menschen mit schwererem Asthma übertragen werden können. Bei Menschen mit SLIT bestand generell eine höhere Wahrscheinlichkeit für das Auftreten von unerwünschten Nebenwirkungen, jedoch fielen diese meist mild aus.
Die meisten Leitlinien zur Asthmabehandlung empfehlen, dass SLIT nur bei Asthmafällen eingesetzt wird, die mit der Standardbehandlung schwer zu kontrollieren sind. Jedoch wurden in vielen der in diesem Review eingeschlossenen Studien nur Menschen mit mildem Asthma untersucht, sodass es weiterer Studien bedarf, welche die Wirkung von SLIT bei Menschen mit schwererem Asthma untersuchen. Es wäre hilfreich, wenn die Studienergebnisse in zukunft anhand von Standardskalen berichtet werden würden, um eine Zusammenfassung der Ergebnisse zu ermöglichen.
Vertrauenswürdigkeit der Evidenz
Die Evidenz in diesem Review ist allgemein von moderater oder niedriger Vertrauenswürdigkeit. In sehr wenigen Studien wurden für Menschen mit Asthma relevante Endpunkte, wie Asthmaanfälle oder Lebensqualität, untersucht. In den meisten Studien war nicht klar ersichtlich, anhand welcher Kriterien Teilnehmer für SLIT, eine Placebo- oder Standardbehandlung ausgewählt wurden. In manchen Studien wussten sowohl die Teilnehmer als auch die Studienorganisatoren, wer welche Behandlung erhielt. Dies könnte die Studienergebnisse beeinflusst haben.
Trotz laufender Forschung zu diesem Thema ist die Evidenz zu wichtigen Endpunkten wie Exazerbationen und Lebensqualität noch zu begrenzt, um klinisch relevante Schlussfolgerungen zur Wirkung von SLIT bei Menschen mit Asthma ziehen zu können. Für die Studien wurden meist gemischte Populationen mit mildem oder moderatem Asthma und/oder Rhinitis rekrutiert. Der Fokus der Studien lag auf nicht-validierten Symptom- und Medikamenten-Scores. Die Ergebnisse dieses Reviews legen nahe, dass SLIT eine sichere Option für Menschen mit gut kontrolliertem, mildem oder moderatem Asthma und Rhinitis darstellt, bei denen ein geringes Risiko für schwerwiegende Schäden besteht. Die Bedeutung von SLIT für Menschen mit unkontrolliertem Asthma bedarf weiterer Forschung.
Asthma ist eine chronische Atemwegserkrankung, von der weltweit ungefähr 300 Millionen Menschen betroffen sind. Bei ca. der Hälfte aller Menschen mit Asthma sind Allergien ein wesentlicher Auslöser für Asthmaanfälle, was die Möglichkeit einer gezielten Behandlung eröffnen könnte. Bei der sublingualen Immuntherapie (SLIT) sollen Asthmasymptome durch die sublinguale Gabe von immer höheren Dosen eines Allergens (z. B. Hausstaubmilben, Pollenextrakt) verringert werden. Dies soll Immuntoleranz induzieren. 52 Studien wurden im ursprünglichen Cochrane-Review aus dem Jahr 2015 identifiziert und zusammengefasst. Dabei blieben jedoch Fragen zur Sicherheit und Wirksamkeit der sublingualen Immuntherapie bei Menschen mit Asthma offen.
Ziel war es, die Wirksamkeit und Sicherheit der sublingualen Monotherapie im Vergleich zu einer Placebo- oder Standardbehandlung bei Erwachsenen und Kindern mit Asthma zu beurteilen.
Im Zuge der ursprünglichen Suche nach Studien im Cochrane Airways Group Specialised Register (CAGR), auf ClinicalTrials.gov sowie auf der WHO ICTRP-Plattform und in Referenzlisten aller primären Studien und Review-Artikel wurden Studien bis zum 25. März 2015 gefunden. Die aktuellste Suche nach Studien für diese Aktualisierung wurde am 29. Oktober 2019 vorgenommen.
Wir schlossen randomisierte, kontrollierte Parallelstudien ein, in denen die sublinguale Immuntherapie im Vergleich zu einer Placebo-Behandlung oder als Ergänzung zur Standardbehandlung bei Asthma untersucht wurde. Dabei spielte die Art der Verblindung der Studien oder die Studiendauer keine Rolle. Wir berücksichtigten Studien mit Erwachsenen und Kindern mit Asthma jeglichen Schweregrads und jeglicher Art allergischer Sensibilisierung. Wir schlossen Studien ein, für die Teilnehmer mit Asthma und/oder Rhinitis rekrutiert wurden, in denen jedoch bei mindestens 80 % der Studienteilnehmer eine Asthma-Diagnose gestellt wurde. Wir wählten die Endpunkte, so dass sie die empfohlenen Endpunkte für klinische Studien zu Asthma widerspiegelten. Zudem wählten wir die für Menschen mit Asthma relevantesten Endpunkte. Die primären Endpunkte waren einerseits Asthma-Exazerbationen, die einen Besuch in der Notaufnahme oder eine stationäre Aufnahme im Krankenhaus notwendig machten, andererseits bewährte Methoden zum Messen der Lebensqualität und schwere unerwünschte Ereignisse (SAE) jeglicher Ursache. Die sekundären Endpunkte waren Asthma-Symptom-Scores, Exazerbationen, die eine Behandlung mit systemischen Kortikosteroiden erforderten, Reaktion auf Provokationstests und Gabe von inhalativem Kortikosteroid (ICS).
Zwei Review-Autoren analysierten unabhängig voneinander die Suchergebnisse für die eingeschlossenen Studien, extrahierten numerische Daten und bewerteten das Risiko für Bias. Dies alles wurde gegengeprüft, um die Richtigkeit des Reviews zu gewährleisten. Eventuelle Unstimmigkeiten wurden durch Diskussion gelöst.
Wir analysierten dichotome Daten als Odds Ratios (ORs) oder Risikodifferenzen (RDs) und verwendeten Studienteilnehmer als Analyseeinheit. Kontinuierliche Daten analysierten wir als Mittelwertdifferenzen (MDs) oder standardisierte Mittelwertdifferenzen (SMDs) unter Verwendung von Random-Effects-Modellen. Wir beurteilten die Aussagekraft der Evidenz aller primären und sekundären Endpunkte mithilfe der GRADE-Methodik.
66 Studien entsprachen den Einschlusskriterien für dieses Review-Update, darunter 52 Studien aus dem ursprünglichen Review. Die meisten Studien waren doppelt verblindet, placebokontrolliert und die Studiendauer variierte zwischen einem Tag und drei Jahren. Für diese Studien wurden Teilnehmer mit mildem oder moderatem Asthma rekrutiert, oft mit komorbider allergischer Rhinitis. Für 23 Studien wurden Erwachsene und Teenager rekrutiert, für 31 nur Kinder, für 3 Studien alle drei, und bei 3 Studien wurde die Rekrutierung nicht spezifiziert.
Die Art der Berichterstattung und die Ergebnisse aus dem ursprünglichen Review blieben trotz 14 weiterer Studien und einer Steigerung der Teilnehmerzahl um 50 % (von 5.077 auf 7.944) größtenteils unverändert. Es gab nur wenige Berichte zu primären Wirksamkeitsendpunkten, die den Einfluss von SLIT auf Asthma-Exazerbationen und Lebensqualität gemessen haben. Zudem hatte eine selektive Berichterstattung erhebliche Auswirkungen auf die Vollständigkeit der Evidenz. 16 Studien stellten keine Daten bereit und 6 weitere Studien konnten lediglich zu einer Post-hoc-Analyse aller unerwünschten Ereignisse herangezogen werden. Die Zuteilungsverfahren wurden generell nicht ausreichend beschrieben. Bei etwa einem Viertel der Studien bestand ein hohes Risiko für Performance- oder Beobachterbias (oder beides). Die Zahl der Studienabbrecher war bei etwa der Hälfte der Studien hoch oder unbekannt.
Die primären Endpunkte entsprachen in den meisten Studien nicht denen, die für diesen Review von Interesse waren (vor allem Asthma- oder Rhinitis-Symptome). In lediglich 2 kleinen Studien wurde unser primärer Endpunkt „Exazerbationen, die einen Besuch der Notaufnahme oder die stationäre Aufnahme in ein Krankenhaus erfordern“ betrachtet. Die Einschätzung auf Grundlage der gepoolten Studiendaten legt nahe, dass SLIT Exazerbationen im Vergleich zu einer Placebo- oder Standardbehandlung reduziert. Die Evidenz ist jedoch sehr unklar (OR 0,35; 95 % Konfidenzintervall (KI) 0,10 bis 1,20; n = 108; sehr niedrige Vertrauenswürdigkeit der Evidenz). 9 Studien, die Ergebnisse zur Lebensqualität lieferten, konnten nicht in Form einer Meta-Analyse verglichen werden. Während die Wirkungsrichtung meistens für SLIT sprach, war die Wirkung oft unklar und gering. SLIT führt im Vergleich zu einer Placebo- oder Standardbehandlung wahrscheinlich nicht zu mehr SAEs. Zudem zeigt die Analyse auf Grundlage der Risikodifferenz, dass nicht mehr als 1 von 100 Personen, die mit SLIT behandelt werden, ein schweres unerwünschtes Ereignis erleiden wird (RD −0,0004, 95 % KI −0,0072 bis 0,0064; 4.810 Studienteilnehmer; 29 Studien; moderate Vertrauenswürdigkeit der Evidenz).
Bezüglich sekundärer Endpunkte wurden die Asthma-Symptom- und Medikamenten-Scores in den meisten Fällen anhand nicht-validierter Skalen gemessen, die eine aussagekräftige Meta-Analyse oder Interpretation unmöglich machten. Es bestand jedoch ein allgemeiner Trend zugunsten des Nutzens von SLIT im Vergleich zu einer Placebo-Behandlung. Es wurde nicht oft über Veränderungen bei der Anwendung von ICS (MD −17,13 µg/d, 95 % KI −61,19 bis 26,93; niedrige Vertrauenswürdigkeit der Evidenz), Exazerbationen, die eine Anwendung oraler Steroide notwendig machten (2 Studien; keine Ereignisse), und bronchialer Provokation (SMD 0,99; 95 % KI 0,17 bis 1,82; niedrige Vertrauenswürdigkeit der Evidenz) berichtet. Die Ergebnisse waren ungenau und schlossen die Möglichkeit großen Nutzens oder geringer Wirkung, und in manchen Fällen potenziellen Schadens, durch SLIT mit ein.
Mehr Menschen mit SLIT erlitten im Vergleich zu den Kontrollgruppen unerwünschte Ereignisse jeglicher Art (OR 1,99; 95 % KI 1,49 bis 2,67; hohe Vertrauenswürdigkeit der Evidenz; 4.251 Studienteilnehmer; 27 Studien). Diese Ereignisse wurden jedoch in den meisten Fällen als mild und von kurzer Dauer beschrieben.
Wegen des Mangels an Daten konnten die meisten geplanten Subgruppen- und Sensitivitäts-Analysen nicht durchgeführt werden.
Universität Heidelberg, freigegeben durch Cochrane Deutschland