Hauptaussage
Ein Tagesbetreuungsprogramm mit zusätzlichen Elementen wie gemeindebasierter Bildung, Elternbildung und Laufställen, die den Eltern außerhalb der Tagesbetreuungseinrichtung zur Verfügung gestellt werden, reduziert wahrscheinlich das Risiko für Tod durch Ertrinken bei Kindern unter sechs Jahren, die in Gebieten leben, in denen jedes Jahr eine große Anzahl von Kindern ertrinkt.
Warum haben wir diesen Cochrane Review durchgeführt?
Kinder, die in ländlichen Gebieten in der Nähe von offenen Gewässern leben, sind dem Risiko des Ertrinkens ausgesetzt, insbesondere wenn sie nicht zur Schule gehen oder unbeaufsichtigt sind. Um Ertrinkungsunfälle zu vermeiden, wird eine Beaufsichtigung des Kindes empfohlen. Hierbei könnte eine organisierte Tagesbetreuung in einer Einrichtung außerhalb des eigenen Haushalts helfen.
Wir wollten herausfinden, ob ein Tagesbetreuungsprogramm für Kinder unter sechs Jahren in Ländern mit niedrigem bis mittlerem Einkommensniveau dazu beitragen könnte, die Anzahl von Ertrinkungsunfällen (tödlich und nicht tödlich) zu reduzieren.
Wie sind wir vorgegangen?
Wir suchten nach Studien, die die Wirkung eines Tagespflegeprogramms auf Ertrinkungsunfälle bei Kindern unter sechs Jahren untersuchten. Das Tagesbetreuungsprogramm konnte hierbei inhaltliche Komponenten, wie pädagogische Aktivitäten zur Vermeidung von Verletzungen oder Ertrinken und Aktivitäten zur frühkindlichen Entwicklung enthalten.
Wie aktuell ist dieser Review?
Wir schlossen Evidenz ein, die bis zum 18. August 2020 veröffentlicht wurde.
Was fanden wir heraus?
Wir konnten zwei Studien unter Berücksichtigung von 252.631 Kindern identifizieren, die im ländlichen Bangladesch durchgeführt wurden.
Der Studienzeitraum einer Studie betrug vier Jahre und acht Monate. Sie untersuchte die Auswirkungen eines Tagesbetreuungsprogramms, das Elternbildung, den Eltern zur Verfügung gestellte Laufställe und Bildungsmaßnahmen auf Gemeindeebene kombinierte, im Vergleich zu den Auswirkungen des Nichtvorhandenseins eines Tagesbetreuungsprogramms.
Der Studienzeitraum der anderen Studie betrug drei Jahre und vier Monate. Es wurden jeweils die Auswirkungen eines reinen Tagesbetreuungsprogramms und diejenigen eines kombinierten Programms aus Tagesbetreuung und Laufställen, die den Eltern zur Verfügung gestellt wurden, mit den Auswirkungen von nur den Eltern zur Verfügung gestellter Laufställe verglichen.
Was sind die Hauptergebnisse des Reviews?
Im Vergleich zu keinem Tagesbetreuungsprogramm reduziert ein Tagesbetreuungsprogramm für Kinder unter sechs Jahren in Kombination mit Elternbildung sowie mit den an Eltern bereitgestellten Laufställe und Aufklärung auf Gemeindeebene wahrscheinlich das Risiko für Tod durch Ertrinken (Evidenz aus einer Studie mit 136.577 Kindern). Für jede 100.000 Kinder unter sechs Jahren, die nicht in der Tagesbetreuung waren, könnten 77 Kinder durch Ertrinken gestorben sein, verglichen mit 14 Kindern, die in der Tagesbetreuung waren.
Die Bereitstellung dieses Tagesbetreuungsprogramms mit zusätzlichen Aktivitäten war mit geringeren Kosten verbunden, als die Kosten für jedes verlorene Jahr durch Krankheit, Behinderung oder frühzeitigem Tod durch Ertrinken (Evidenz aus einer Studie mit 136.577 Kindern).
Wir sind uns nicht sicher bezüglich der Wirkungen eines Tagesbetreuungsprogramms im Vergleich zu Laufställen, die den Eltern zur Verfügung gestellt werden. Zudem sind wir uns nicht sicher in Hinblick auf Wirkungen eines Tagesbetreuungsprogramms in Kombination mit Laufställen (bereitgestellt für Eltern) im Vergleich zu der alleinigen Bereitstellung von Laufställen.
Keine der beiden Studien berichtete Ergebnisse bezüglich nicht-tödlich verlaufender Ertrinkungsunfälle, der Exposition bezüglich des unsicheren Umgangs mit Wasser, der Sicherheit des Programms oder anderer Unfallverletzungen.
Limitationen bezüglich der Evidenz
Die Ergebnisse stammen aus zwei Beobachtungsstudien, in der Forschende die Wirkung eines Einflussfaktors beobachtet haben (wie z.B. eines Tagesbetreuungsprogramms), ohne den Versuch einer Einflussnahme, wer das Programm durchläuft und wer nicht. Evidenz generiert durch Beobachtungsstudien ist in der Regel nicht so zuverlässig wie Evidenz aus randomisierten kontrollierten Studien, in denen die Programmzuteilung für die Teilnehmenden nach dem Zufallsprinzip erfolgt.
Wir besitzen moderates Vertrauen bezüglich der Wirkung eines Tagesbetreuungsprogramms (mit zusätzlichen Komponenten) auf das Risiko von Tod durch Ertrinken bei Kindern unter sechs Jahren. Weitere Forschung zu diesem Thema wird wahrscheinlich unser Vertrauen bezüglich der Ergebnisse erhöhen.
Dieser Review stellt Evidenz bereit, dass ein Tagesbetreuungsprogramm mit zusätzlichen Komponenten bezogen auf die Betreuung außerhalb regulärer Öffnungszeiten von Einrichtungen, wie z.B. Bildungsangebote auf Gemeindeebene, Elternbildung und Laufställe, die den Eltern zur Verfügung gestellt werden, wahrscheinlich das Sterblichkeitsrisiko durch Ertrinken in Regionen, die eine hohe Sterblichkeit durch diesen Grund aufweisen, im Vergleich zu keiner Intervention, reduzieren vermag.
Ertrinken ist die Ursache für schätzungsweise 320000 Todesfälle pro Jahr. Mehr als 90% der Todesfälle durch Ertrinken treten in Ländern mit niedrigem bis mittlerem Einkommensniveau (low- to middle-income countries (LMICs)) auf, wobei die höchsten Raten für das Ertrinken bei Kindern im Alter von einem bis vier Jahren auftreten. In dieser Altersgruppe tritt die durch Ertrinken verursachte Sterblichkeit besonders in ländlichen Gegenden auf. Etwa 75% der Ertrinkungsunfälle ereignen sich in natürlichen Gewässern in der Nähe des Wohnorts. Eine angemessene Beaufsichtigung kann Kinder vor dem Ertrinken schützen. Formell organisierte Tagesbetreuungsprogramme könnten eine Möglichkeit bieten, dies zu erreichen.
Primäres Ziel
• Bewertung der Wirkung von Tagesbetreuungsprogrammen für Kinder unter sechs Jahren auf die ertrinkungsbedingte Mortalität oder Morbidität oder auf die Gesamtzahl der Ertrinkungsunfälle (tödlich und nicht tödlich) in LMICs im Vergleich zu keinen Tagesbetreuungsprogrammen oder anderen Interventionen zur Vermeidung von Ertrinken
Sekundäre Ziele
• Bewertung der Wirkung von Tagesbetreuungsprogrammen in LMICs für Kinder unter sechs Jahren auf die Exposition bezüglich des unsicheren Umgangs mit Wasser
• Bewertung der Sicherheit der Programme (z.B. Übertragung von Infektionen innerhalb der Tagesbetreuung, körperlicher oder sexueller Missbrauch von Kindern innerhalb der Tagesbetreuung)
• Beurteilung der Häufigkeit von unbeabsichtigten Verletzungen innerhalb dieser Programme
• Beschreibung der Kosteneffektivität solcher Programme in Bezug auf die vermiedene ertrinkungsbedingte Mortalität oder Morbidität
Am 23. November 2019 und für ein Update am 18. August 2020 führten wir Suchen in MEDLINE (PubMed), Embase, CENTRAL, ERIC und CINAHL sowie in zwei Studienregistern durch. Am 16. Dezember 2019 und für ein Update am 9. Februar 2021 durchsuchten wir zwölf weitere Recherchequellen, darunter Websites von Organisationen, die Programme für Kinder entwickeln.
Wir schlossen randomisierte, quasi-randomisierte und nicht-randomisierte kontrollierte Studien (mit expliziter Aufführung ihrer spezifischen Studiendesign-Merkmale) ein, die formell organisierte Tagesbetreuungsprogramme als Einzelprogramm oder in Kombination mit zusätzlichen Komponenten außerhalb der Tagesbetreuung (wie z.B. pädagogische Aktivitäten, die auf die Prävention von Verletzungen oder das Ertrinken abzielen, oder Aktivitäten zur frühkindlichen Entwicklung) mit Implementierung für Kinder im Vorschulalter (unter sechs Jahren) in LMICs mit dem Nichtvorhandensein eines solchen Programms oder mit anderen Interventionen gegen das Ertrinken verglichen. Die Studien mussten mindestens einen Endpunkt im Zusammenhang mit dem Ertrinken oder der Prävention von Verletzungen für die eingeschlossenen Kinder der Studien berichten.
Zwei Review-Autoren führten unabhängig voneinander die Studienauswahl und die Datenextraktion, die Bewertung des Risikos für Bias sowie die GRADE Bewertung durch.
Zwei nicht-randomisierte Beobachtungsstudien, die im ländlichen Bangladesch durchgeführt wurden und insgesamt 252.631 Teilnehmende umfassten, erfüllten die Einschlusskriterien für diesen Review. In einer dieser Studien wurde ein formelles Tagesbetreuungsprogramm in Kombination mit Elternbildung, Laufställen, die den Eltern zur Verfügung gestellt wurden, und gemeindebasierten Aktivitäten als zusätzliche Komponenten für die Betreuung außerhalb der Öffnungszeiten mit dem Nichtvorhandensein eines solchen Programms verglichen. Insgesamt bewerteten wir diese Studie mit einem moderaten Risiko für Bias (moderates Risiko für Bias aufgrund des möglichen Einflusses von Störfaktoren (Confounding), geringes Risiko für Bias für andere Domänen innerhalb der Bewertung). Diese Studie zeigte, dass die Implementierung eines formellen Tagesbetreuungsprogramms in Kombination mit Elternbildung, Bereitstellung von Laufställen an Eltern und gemeindebasierten Aktivitäten in einem ländlichen Gebiet mit einer hohen Inzidenz des Ertrinkens wahrscheinlich das Risiko eines Todes durch Ertrinken über den Studienzeitraum von vier Jahren und acht Monaten im Vergleich zu keinem Tagesbetreuungsprogramm reduziert (Hazard Ratio 0,18, 95% Konfidenzintervall (KI) 0,06 bis 0,58; 1 Studie, 136577 Teilnehmende; moderate Vertrauenswürdigkeit der Evidenz). Ertrinkungsbezogene Morbidität (nicht tödliches Ertrinken mit Komplikationen), Ertrinken insgesamt (tödlich und nicht tödlich), Exposition bezüglich des unsicheren Umgangs mit Wasser und Sicherheit des Programms (z.B. Übertragung von Infektionen innerhalb der Betreuungseinrichtung, körperlicher oder sexueller Missbrauch von Kindern innerhalb der Betreuungseinrichtung) wurden nicht berichtet, ebenso wie die Häufigkeit anderer unbeabsichtigter Verletzungen. Die Kosteneffektivität wurde mit 812 USD (95% KI 589 bis 1777) pro vermiedenem behinderungsbereinigten Lebensjahr als Folge des Ertrinkens angegeben (moderate Vertrauenswürdigkeit der Evidenz). Die zweite Studie verglich Tagesbetreuungsprogramme mit oder ohne Laufgitter als zusätzlicher Komponente (die den Eltern zur Verfügung gestellt werden konnten) mit einer Kontrollgruppe, die nur die letztgenannte mögliche Komponente (Laufgitter) als alternative Intervention zur Vermeidung des Ertrinkens erhielten. Insgesamt wurde die Studie mit einem hohem Risiko für Bias durch uns bewertet, da wir den möglichen Bias durch Confounding als kritisch einstuften. Da die Vertrauenswürdigkeit der Evidenz sehr niedrig war, sind wir uns unsicher bezüglich der Auswirkungen auf die Sterblichkeitsrate durch Ertrinken bei Implementierung eines Tagesbetreuungsprogramms im Vergleich zur Bereitstellung von Laufställen (Rate ratio 0,25, 95% KI 0,15 bis 0,41; 1 Studie; 76575 Teilnehmende; Evidenz mit sehr niedriger Vertrauenswürdigkeit). Ebenso sind wir uns unsicher bezüglich der Effekte eines Tagesbetreuungsprogramms mit Laufställen als zusätzlicher Komponente im Vergleich zu Laufställen, die allein angeboten wurden (Rate Ratio 0,06, 95% KI 0,02 bis 0,12; 1 Studie, 45460 Teilnehmende; Evidenz mit sehr niedriger Vertrauenswürdigkeit). Andere interessante Endpunkte - ertrinkungsbezogene Morbidität, Ertrinken insgesamt, Exposition bezüglich des unsicheren Umgangs mit Wasser, Sicherheit des Programms, Inzidenz bezüglich anderer unbeabsichtigter Verletzungen sowie Kosteneffektivität - wurden nicht berichtet.
T. Heise, L. Mergenthal freigegeben durch Cochrane Deutschland