Worum geht es?
Bei Frühgeborenen (vor der 37. Schwangerschaftswoche) besteht das Risiko von Atembeschwerden und Lungenerkrankungen, da ihre Lungen noch nicht voll entwickelt sind. Eine Behandlung mit pränatalen (während der Schwangerschaft verabreichten) Kortikosteroiden, die Frauen mit drohenden Frühgeburten verabreicht wird, fördert die Lungenentwicklung der Babys und verbessert deren Überlebensrate. Dieser Nutzen hält bis zu sieben Tage an, sodass Frühgeborene, die mehr als sieben Tage nach der Kortikosteroidbehandlung geboren werden, immer noch ein Risiko für Atembeschwerden und Lungenerkrankungen haben. In diesem Review wird die verfügbare Evidenz für den Nutzen und Schaden einer weiteren Kortikosteroidbehandlung beschrieben. Ziel ist es, den Nutzen für die Lungenentwicklung und die Atmung zu verbessern.
Warum ist das wichtig?
Frühgeburten sind weit verbreitet. Weltweit ist etwa eines von neun Babys davon betroffen. Frühgeborene, die die ersten Wochen nach der Geburt überleben, haben nicht nur Atemprobleme, sondern auch ein erhöhtes Risiko für langfristige Beeinträchtigungen, wie Entwicklungsverzögerungen, Epilepsie (Anfälle) und Zerebralparese (Muskelschwäche und -probleme, die die Bewegung und Koordination beeinträchtigen).
Kortikosteroid-Medikamente wirken entzündungshemmend und unterdrücken das Wachstum sowie die Produktion von Cortisol (Stresshormon) in der Nebenniere. Die wiederholte pränatale Kortikosteroid-Gabe könnte das Infektionsrisiko erhöhen und die Produktion von Cortisol für die Mutter und ihr Kind unterdrücken, sowie das Wachstum des Kindes verlangsamen. Daher ist es wichtig, dass sowohl der Nutzen als auch die potenziellen negativen Auswirkungen wiederholter Kortikosteroidbehandlungen bekannt sind, um in der klinischen Praxis die bestmöglichen Behandlungsentscheidungen treffen zu können.
Welche Evidenz fanden wir?
Wir haben am 27. Januar 2021 nach Evidenz gesucht und 11 randomisierte kontrollierte Studien identifiziert (klinische Studien, bei denen Personen nach dem Zufallsprinzip in eine von zwei oder mehr Behandlungsgruppen eingeteilt werden). An diesen Studien nahmen 4895 Frauen und ihre 5975 Babys teil, bei denen das Risiko einer Frühgeburt mehr als sieben Tage nach einer ersten Behandlung mit Kortikosteroiden fortbestand, welche zwischen 23 und 34 Schwangerschaftswochen verabreicht wurde.
Insgesamt zeigten diese Studien, dass die wiederholte(n) Gabe(n) von pränatalen Kortikosteroiden das Risiko von Atembeschwerden des Babys, einschließlich schwerer Atembeschwerden, und von schwerwiegenden gesundheitlichen Problemen in den ersten Wochen nach der Geburt verringerte(n) (moderate bis hohe Qualität der Evidenz und geringes Risiko für Bias). Wahrscheinlich gab es keine Auswirkungen auf chronische Lungenerkrankungen (in der Regel definiert durch anhaltende Atembeschwerden und die Notwendigkeit einer Sauerstoffbehandlung in dem Alter, in dem sie 36 Wochen der Schwangerschaft erreicht hätten). Anhand der verfügbaren Daten konnte nicht festgestellt werden, ob es eine Zunahme, eine Abnahme oder keine Veränderung bezogen auf Todesfälle von ungeborenen Kindern, Neugeborenen oder Säuglingen unter einem Jahr, schweren Blutungen im Gehirn oder schweren Darmentzündungen gab.
Die Wahrscheinlichkeit einer Kaiserschnittgeburt war bei den Frauen nicht erhöht. Jedoch war es ungewiss, ob Todesfälle bei der Mutter, der mütterlichen Infektionen, des Risikos mütterlicher Nebenwirkungen oder der Notwendigkeit, die Behandlung aufgrund von Nebenwirkungen abzubrechen, zu-oder abnahmen. In keiner der Studien wurden Daten über das Stillen zum Zeitpunkt der Entlassung aus dem Krankenhaus oder über das Risiko einer Aufnahme der Frauen in der Intensivstation berichtet.
In fünf Studien, in denen die Babys bis zum frühen Kindesalter nachbeobachtet wurden, zeigten sich keine langfristigen Nutzen oder Schäden für deren späteren Entwicklung. Auch die beiden Studien, in denen Kinder bis ins mittlere Kindesalter nachbeobachtet wurden (fünf Jahre in einer Studie und sechs bis acht Jahre in einer anderen Studie), ergaben keine langfristigen Nutzen oder Schäden für deren Entwicklung. Bei der Nachbeobachtung im frühen und mittleren Kindesalter war unklar, ob die Gesamtzahl der Todesfälle nach der Randomisierung bis zum Zeitpunkt der Nachbeobachtung gestiegen, gesunken oder gleich geblieben war.
Die Evidenz, auf die sich diese Aussagen stützten, waren im Allgemeinen von moderater oder hoher Qualität. Die meisten Ergebnisse stützten sich auf Informationen mit geringem Risiko für Bias oder auf Informationen, bei denen ein gewisses Risiko für Bias besteht.
Was bedeutet das?
Dieser Review zeigt, dass eine wiederholte pränatale Kortikosteroid-Gabe an Frauen, bei denen nach einer ersten pränatalen Kortikosteroid-Behandlung das Risiko einer Frühgeburt fortbesteht, für die Lungen der Neugeborenen förderlich ist, sowie in deren ersten Lebenswochen schwere Gesundheitsprobleme reduziert und keinen Schaden für deren Gesundheit und die Entwicklung bis ins mittlere Kindesalter zur Folge hat. Weitere Untersuchungen über die langfristigen Nutzen oder Schäden für das Baby bis ins Erwachsenenalter sind erforderlich.
S. A. Genier, A. Walther, freigegeben für Cochrane Schweiz. Unterstützt von Fondation SANA (www.fondation-sana.ch)