Reviewfrage
Wir begutachteten die Evidenz (den wissenschaftlichen Beleg) zur Wirkung der Anwendung von transkranieller Gleichstromstimulation auf das Gehirn (Englisch „transcranial Direct Current Stimulation“, kurz tDCS) bei Patienten nach Schlaganfällen. Zielgrößen waren Alltagsaktivitäten (ATLs), Arm- und Beinfunktion, Muskelkraft, geistige (kognitive) Fähigkeiten (einschließlich „Neglect“, d.h. einer gestörten Wahrnehmung mit aus dieser hervorgehenden Vernachlässigung einer Körperhälfte und ihrer räumlichen Umgebung), sowie Behandlungsabbrüche und Nebenwirkungen (unerwünschte Ereignisse).
Hintergrund
Schlaganfälle sind weltweit eine der häufigsten Ursachen für Behinderung. Die meisten Schlaganfälle treten auf, wenn ein Blutgerinnsel ein gehirnversorgendes Blutgefäß verschließt. Ohne eine ausreichende Blutversorgung kommt es in kürzester Zeit zu Schädigungen des Gehirns, die dauerhaft sein können. Diese Schädigungen führen bei den Betroffenen häufig zu Beeinträchtigungen von ATLs und motorischen Funktionen (der Bewegungsfähigkeit). Die derzeit gängigen Rehabilitationsstrategien können diese Beeinträchtigungen nur begrenzt verbessern. Eine Möglichkeit zur Steigerung der Wirkungen könnte die zusätzliche Anwendung einer nicht-invasiven Hirnstimulation mittels einer Technik darstellen, die als transkranielle Gleichstromstimulation (tDCS) bekannt ist. Diese Technik kann die Arbeitsweise (Erregbarkeit) des Gehirns beeinflussen und möglicherweise zur Verringerung beeinträchtigter Alltagsaktivitäten und Funktionen nach Schlaganfällen angewandt werden. Die Wirksamkeit dieser Maßnahme bezogen auf die Steigerung von Rehabilitationsergebnissen ist jedoch bislang unbekannt.
Recherchedatum
Der Review ist auf dem Stand von Februar 2015.
Studienmerkmale
Wir schlossen 32 Studien mit insgesamt 748 über 18-jährigen Teilnehmern mit akuten, subakuten oder chronischen sowie ischämischen (durch eine Minderdurchblutung verursachten) oder hämorrhagischen (durch eine Blutung verursachten) Schlaganfällen ein. Das Durchschnittsalter der Teilnehmer betrug in den Experimentalgruppen (den Gruppen, die mit tDCS behandelt wurden) 43 bis 70 Jahre und in den Kontrollgruppen (Vergleichsgruppen) 45 bis 75 Jahre. Der Grad der Beeinträchtigung der Teilnehmer reichte von schwer bis moderat. Der Großteil der Studien wurde in Kliniken durchgeführt. Es wurden verschiedene tDCS-Formen („anodal“, „kathodal“, „dual“) mit unterschiedlicher Stimulationsdauer und -dosierung angewandt und mit einer tDCS-Scheinbehandlung oder einer aktiven Kontrollbehandlung (z.B. einer herkömmlichen Rehabilitation) verglichen. Bei einer tDCS-Scheinbehandlung wird die Stimulation innerhalb der ersten Minute ihrer Anwendung abgeschaltet, ohne dass der Patient dies mitbekommt.
Hauptergebnisse
Dieses Review ergab, dass tDCS ATLs möglicherweise verbessert, es jedoch ungewiss bleibt, ob dies auch auf die Arm- und Beinfunktion, Muskelkraft und geistige Fähigkeiten zutrifft. Der Anteil von Teilnehmern, bei denen es zu Nebenwirkungen kam oder die die Behandlung abbrachen war zwischen den Gruppen vergleichbar. Die eingeschlossenen Studien unterschieden sich hinsichtlich Art und Ort des Schlaganfalls, Stimulationsart, -ort, -dauer sowie der verabreichten Strommenge und Größen und Positionen der Elektroden. Weitere Forschung in diesem Bereich ist notwendig, um die Evidenzbasis der Ergebnisse, vor allem im Hinblick auf Arm- und Beinfunktion, Muskelkraft und geistige Fähigkeiten (einschließlich “Neglect“), zu festigen.
Qualität der Evidenz
Die Qualität der Evidenz für tDCS zur Verbesserung von ATLs nach Schlaganfällen war sehr niedrig bis moderat. Sie war niedrig für die Armfunktion sowie für Nebenwirkungen und Behandlungsabbrüche.
P. Heinrich, B. Elsner, Koordination durch Cochrane Schweiz