Hintergrund
Demenz ist eine Krankheit, bei der sich das Gedächtnis und andere Denkfähigkeiten so weit verschlechtern, dass die Betroffenen ihre täglichen Aktivitäten nicht mehr ohne Hilfe bewältigen können. Wenn die Gedächtnis- und Denkprobleme weniger stark ausgeprägt sind, so dass die unabhängige Lebensführung nicht beeinträchtigt ist, wird der Zustand als leichte kognitive Beeinträchtigung (mild cognitive impairment, MCI) beschrieben. Beide Zustände betreffen in der Regel ältere Menschen. Es wird als wichtig erachtet, dass Menschen mit Demenz oder MCI eine genaue Diagnose zu einem für sie geeigneten Zeitpunkt und an einem für sie geeigneten Ort erhalten, damit sie und ihre Familien das Problem verstehen und sich um die Behandlung und Unterstützung kümmern können. Weltweit erhalten jedoch Millionen von demenzkranken Menschen nie eine Diagnose. Dafür gibt es viele Gründe, einer davon könnten fehlende Diagnosemöglichkeiten sein, insbesondere für Menschen in ländlichen Gebieten oder Menschen mit eingeschränkter Mobilität. Während der COVID-19-Pandemie wurden viele persönliche medizinische Dienste geschlossen. Telemedizin - der Einsatz von audiovisuellen Kommunikationstechnologien (information and communication technology, ICT) für Gesundheitsdienstleistungen aus der Ferne - könnte für Menschen mit Verdacht auf Demenz, deren Zugang zu medizinischer Versorgung erschwert ist, eine Möglichkeit zur Verbesserung des Zugangs zu einer fachlichen Beurteilung sein. Wichtig ist jedoch, dass die bessere Zugänglichkeit nicht auf Kosten der Genauigkeit der Diagnose geht.
Fragestellung des Reviews
Wir wollten wissen, wie genau die telemedizinische Diagnose von Demenz und MCI im Vergleich zu den Diagnosen ausfällt, die gestellt werden, wenn die Patienten zu einer persönlichen Untersuchung in eine Praxis oder Klinik kommen.
Unsere Vorgehensweise
Wir durchsuchten Datenbanken bis zum 4. November 2020 nach medizinischen Studien, in denen Personen bei Verdacht auf Demenz oder MCI zweimal untersucht wurden: einmal telemedizinisch und einmal konventionell in einer persönlichen Beurteilung. Beide Beurteilungen wurden von Fachärzten durchgeführt und fanden innerhalb eines Monats statt. Bei der telemedizinischen Beurteilung musste der gesamte Kontakt zwischen dem Patienten und dem diagnostizierenden Facharzt aus der Ferne unter Verwendung von ICT erfolgen. Einige der für die Diagnose erforderlichen Informationen konnten allerdings von anderen Mitgliedern des Gesundheitsteams im persönlichen Kontakt mit dem Patienten erfasst werden. Anschließend prüften wir, inwieweit die Ergebnisse der telemedizinischen Bewertungen mit den im persönlichen Kontakt erstellten Bewertungen übereinstimmen.
Was wir fanden
Wir schlossen drei Studien (136 Teilnehmende) ein, bei denen der Verdacht auf Demenz bestand. Eine kleine Studie mit 16 Teilnehmenden wurde in einem Heim für Kriegsveteranen in den USA durchgeführt, die beiden anderen Studien fanden in gemeinnützigen Einrichtungen Australien statt. Sie alle nutzten Videokonferenzen für ihre telemedizinischen Untersuchungen. Alle drei Studien zielten darauf ab, die Diagnose von Demenz zu stellen, nur eine Studie hatte auch die Diagnose von MCI zum Ziel. Die Qualität der Studien war grundsätzlich gut. In zwei Studien spielten die Pflegepersonen, die die Patienten persönlich sahen, eine wichtige Rolle bei der Erfassung von Informationen, die in beiden Bewertungen verwendet wurden. Aus diesem Grund könnten diese Studien in Richtung einer engen Übereinstimmung zwischen den Bewertungen verzerrt sein.
Die Studien fanden heraus, dass bei der telemedizinischen Beurteilung 80% bis 100% der Personen, bei denen bei der persönlichen Beurteilung eine Demenz diagnostiziert wurde, korrekt identifiziert wurden, und dass auch 80 % bis 100 % der Personen, die nicht an Demenz litten, korrekt identifiziert wurden.
Nur in einer Studie mit 100 Teilnehmenden wurde versucht, MCI zu diagnostizieren. In dieser Studie wurden 71% der Teilnehmenden, die an MCI erkrankt waren, und 73% der Teilnehmenden, die nicht an MCI erkrankt waren, durch die telemedizinische Beurteilung korrekt identifiziert.
Durch die telemedizinische Beurteilung wurden in dieser Studie 97% der Teilnehmenden, die entweder an MCI oder Demenz litten, korrekt identifiziert, aber nur 22% der Teilnehmenden, die weder an MCI noch an Demenz litten. Allerdings ist auch dieses Ergebnis aufgrund der sehr geringen Anzahl von Personen in dieser Kategorie sehr unsicher.
Es ist wichtig darauf hinzuweisen, dass auch die Diagnosen von Demenz und MCI, die von zwei Fachärzten im persönlichen Kontakt mit dem Patienten gestellt werden, nicht zu 100% übereinstimmen werden. Daher kann eine perfekte Übereinstimmung zwischen telemedizinischen und persönlichen Bewertungen nicht erwartet werden.
Unsere Schlussfolgerungen
Die von uns gefundene Evidenz zeigt, dass die Diagnosen von Demenz durch telemedizinische Untersuchungen im Vergleich zu persönlichen Untersuchungen ein hohes Maß an Übereinstimmung aufweisen. Allerdings ist dieses Ergebnis aufgrund der geringen Anzahl von Studien und Teilnehmenden sowie die Unterschiede zwischen den einbezogenen Studien sehr unsicher. Die Telemedizin scheint bei der Diagnose von MCI etwas ungenauer zu sein als bei der Diagnose von Demenz. Auch die Übereinstimmung zwischen zwei im persönlichen Kontakt erstellten Diagnosen ist nicht perfekt, so dass wir nicht sagen können, dass es häufiger zu Unstimmigkeiten zwischen telemedizinischen und persönlichen Diagnosestellungen kommt.
N.-E. Denninger und A. Egger-Rainer, B. Schindler, freigegeben durch Cochrane Deutschland