Medikamente zur Verhinderung von Blutgerinnseln nach einem durch Hirnblutung verursachten Schlaganfall

Reviewfrage
Welche Vorteile und Risiken bringen Medikamente zur Verhinderung von Blutgerinnseln (sogenannte „Antithrombotika“) kurz- und langfristig nach einem durch Hirnblutung verursachten Schlaganfall?

Hintergrund
Nach einem durch Hirnblutung verursachten Schlaganfall haben Menschen ein höheres Risiko, Blutgerinnsel in ihren Blutgefäßen zu entwickeln als Menschen ohne Hirnblutung. Eine fehlende Mobilität nach einem Schlaganfall kann die Bildung von Blutgerinnseln in den Bein- und Beckenvenen begünstigen. Die Grunderkrankungen der Betroffenen können sowohl kurz- als auch langfristig nach dem Schlaganfall auch Gerinnsel in den Arterien der Lunge, des Gehirns, des Herzens, der Beine oder anderer Organe verursachen. Diese Gerinnsel können zu schweren Erkrankungen oder zum Tod führen. Antithrombotische Medikamente können Gerinnsel verhindern. Diese Medikamente können jedoch auch Blutungen verursachen, die schwere Erkrankungen oder den Tod zur Folge haben können. Ob Antithrombotika Patient*innen nach einer Hirnblutung nützen oder schaden, ist unbekannt. Dies ist eine Aktualisierung eines Cochrane Reviews, der zuletzt 2017 veröffentlicht wurde.

Studienmerkmale
Im Oktober 2021 aktualisierten wir unsere umfassende Recherche zu randomisierten kontrollierten Studien, die als zuverlässigste Methode zur Erforschung von Behandlungen gelten. Wir fanden neun Studien, an denen 1491 Menschen mit einer Hirnblutung in der Vorgeschichte teilnahmen. Vier Studien untersuchten den kurzfristigen Einsatz von injizierten blutverdünnenden Medikamenten (so genannten "Antikoagulanzien") bei immobilen Überlebenden von Hirnblutungen. Drei Studien untersuchten die Langzeitanwendung von oralen Antikoagulanzien bei Überlebenden von Hirnblutungen mit unregelmäßigem Herzschlag (so genanntem Vorhofflimmern"). Eine Studie untersuchte die Langzeiteinnahme von oralen blutverdünnenden Medikamenten (so genannte Thrombozytenaggregationshemmer) nach einer Hirnblutung, und eine andere Studie verglich zwei verschiedene Arten von Thrombozytenaggregationshemmern.

Hauptergebnisse
Wir konnten keine signifikanten Vorteile oder Risiken von kurzzeitig injizierten Antikoagulantien oder langfristigen oralen Thrombozytenaggregationshemmern feststellen. Es lässt sich nicht eindeutig bestimmen, ob orale Langzeit-Antikoagulanzien das Risiko einer erneuten schweren Hirnblutung oder einer Thrombenbildung nach einem durch Hirnblutung verursachten Schlaganfall bei bestehendem Vorhofflimmern verringern. Wir haben keine wesentlichen Unterschiede bei Nutzen oder Risiken festgestellt, als wir zwei Medikamente zur Blutverdünnung (Cilostazol und Aspirin) miteinander verglichen haben. Diese wurden über einen längeren Zeitraum von Menschen eingenommen, die bereits einen Schlaganfall oder eine vorübergehende Durchblutungsstörung des Gehirns durch ein Gerinnsel hatten und zudem in der Vergangenheit eine Hirnblutung erlitten hatten.

Schlussfolgerung
Obwohl antithrombotische Medikamente nach einem durch eine Hirnblutung verursachten Schlaganfall vielversprechend zu sein scheinen, können wir auf der Grundlage der bisher durchgeführten Studien nicht sicher sein. Größere Studien sind erforderlich, um die Wirkungen dieser Medikamente nach einem durch eine Hirnblutung verursachten Schlaganfall genauer zu untersuchen. Acht laufende Studien sollen dazu beitragen, diese Unsicherheit zu verringern, indem sie eine große Anzahl von Teilnehmenden einbeziehen.

Schlussfolgerungen der Autoren: 

Wir konnten keine positiven oder negativen Wirkungen einer kurzfristigen prophylaktischen parenteralen Antikoagulation und einer langfristigen oralen Thrombozytenaggregationshemmung nach ICB auf wichtige Endpunkte feststellen. Nach einer langfristigen Behandlung mit oraler Antikoagulation in therapeutischer Dosierung bei Vorhofflimmern nach einer ICB zeigte sich eine signifikante Reduktion von MACE und schweren okklusiven vaskulären Ereignissen. Allerdings waren die gepoolten Schätzungen ungenau, die Evidenz lediglich von moderater Vertrauenswürdigkeit, und die Auswirkungen auf andere entscheidende Endpunkte blieben ungewiss. Große, qualitativ hochwertige RCTs mit minimalem Verzerrungsrisiko sind notwendig, um die bestehenden Unsicherheiten in der antithrombotischen Behandlung nach einer ICB zu klären.

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Hintergrund: 

Dies ist eine Aktualisierung eines zuletzt 2017 veröffentlichten Cochrane Reviews. Menschen, die einen Schlaganfall aufgrund einer intrazerebralen Blutung (ICB) erlitten haben, haben ein erhöhtes Risiko für schwerwiegende kardiovaskuläre Ereignisse (MACE). Antithrombotische Behandlungen (Thrombozytenaggregationshemmer oder Antikoagulanzien) könnten das Risiko einer ischämischen Folgeerkrankung nach einer ICB senken, gleichzeitig aber das Blutungsrisiko erhöhen.

Zielsetzungen: 

Ermittlung der Gesamtwirksamkeit und Sicherheit von antithrombotischen Medikamenten in Bezug auf MACE und die Einzelereignisse von MACE bei Menschen mit ICB.

Suchstrategie: 

Wir haben das Cochrane Stroke Group Trials Register durchsucht (5. Oktober 2021). Wir durchsuchten auch das Cochrane Central Register of Controlled Trials (CENTRAL: the Cochrane Library 2021, Issue 10), MEDLINE Ovid (von 1948 bis Oktober 2021) und Embase Ovid (von 1980 bis Oktober 2021). Die durchsuchten Online-Register für klinische Studien waren das US National Institutes of Health Ongoing Trials Register ClinicalTrials.gov (clinicaltrials.gov) und die International Clinical Trials Registry Platform (ICTRP) der Weltgesundheitsorganisation (WHO) (5. Oktober 2021). Wir durchsuchten die Referenzlisten der eingeschlossenen randomisierten kontrollierten Studien (RCTs) nach zusätzlichen, potenziell relevanten RCTs.

Auswahlkriterien: 

Wir wählten RCTs aus, in denen Teilnehmende mit ICB jeden Alters einer Klasse von antithrombotischen Behandlungen als Intervention oder als Vergleichsgruppe zugewiesen wurden.

Datensammlung und ‐analyse: 

In Übereinstimmung mit den von Cochrane empfohlenen methodischen Standardverfahren bewerteten zwei Autor*innen jede ausgewählte RCT hinsichtlich ihres Verzerrungsrisikos und extrahierten die Daten unabhängig voneinander. Der primäre Endpunkt war MACE. Sekundäre Endpunkte waren Tod, einzelne MAC, ICB-Wachstum, funktioneller und kognitiver Status. Wir schätzten die Wirkungen anhand der Häufigkeit der Endpunkte, die während der gesamten Nachbeobachtungsdauer auftraten, und berechneten für jede RCT ein Risikoverhältnis (RR). Wir gruppierten die RCTs für die Analyse nach 1) den Klassen der antithrombotischen Behandlung, die für die Intervention und die Vergleichsgruppe verwendet wurden, und 2) der Dauer der antithrombotischen Behandlung (kurzzeitig oder langfristig). Wir haben die Intention-to-Treat-Populationen der RCTs unter Verwendung eines Fixed-Effect-Modells für die Metaanalyse gepoolt. Wenn sich die RCTs in ihrem Design erheblich unterschieden oder eine beträchtliche Heterogenität (I 2 ≥ 75%) in ihren Ergebnissen bestand, haben wir ein Random-Effects-Modell verwendet. Wir haben GRADE angewandt, um die Vertrauenswürdigkeit der Evidenz zu bewerten.

Hauptergebnisse: 

Für diese Aktualisierung wurden sieben neue, abgeschlossene RCTs identifiziert, so dass insgesamt neun RCTs aus der Sekundärversorgung mit 1491 Teilnehmenden (Durchschnittsalter zwischen 61 und 79 Jahren, Männeranteil zwischen 44 % und 67 %) einbezogen werden konnten. Der Anteil der eingeschlossenen RCTs mit geringem Risiko einer Verzerrung betrug aufgeschlüsselt nach Kategorien: Generierung der Zufallssequenz (67 %), verdeckte Zuteilung (67 %), Durchführung (22 %), Ergebnismessung (78 %), vorzeitiger Abbruch (89 %) und Berichterstattung (78 %).

Keine RCT berichtete über MACE unter antithrombotischer Kurzzeitprophylaxe nach ICB gegenüber unbehandelten Kontrollen. Die Evidenz ist sehr unsicher hinsichtlich Tod (RR 1,00, 95% KI 0,59 bis 1,70, P = 1,00; 3 RCTs; Evidenz von sehr niedriger Vertrauenswürdigkeit), venöse Thromboembolien (RR 0,84, 95% KI 0,51 bis 1,37, P = 0.49; 4 RCTs; Evidenz von sehr niedriger Vertrauenswürdigkeit), ICB (RR 0,24, 95% KI 0,04 bis 1,38, P = 0,11; 2 RCTs; Evidenz von sehr niedriger Vertrauenswürdigkeit) und unabhängiger Funktionsstatus (RR 2,03, 95% KI 0,78 bis 5,25, P = 0,15; 1 RCT; Evidenz von sehr niedriger Vertrauenswürdigkeit) über 90 Tage.

Der Beginn einer langfristigen therapeutischen oralen Antikoagulation bei Vorhofflimmern nach einer ICB reduziert wahrscheinlich MACE (RR 0,61, 95% KI 0,40 bis 0,94, P = 0.02; 3 RCTs; Evidenz von moderater Vertrauenswürdigkeit) und reduziert wahrscheinlich alle schwerwiegenden okklusiven vaskulären Ereignisse (RR 0,27, 95% KI 0,14 bis 0,53, P = 0,0002; 3 RCTs; Evidenz von moderater Vertrauenswürdigkeit), führt aber wahrscheinlich zu einem geringen bis gar keinem Unterschied bei der Sterblichkeit (RR 1.05, 95% KI 0,62 bis 1,78, P = 0,86; 3 RCTs; Evidenz von moderater Vertrauenswürdigkeit), erhöht wahrscheinlich intrakranielle Blutungen (RR 2,43, 95% KI 0,88 bis 6,73, P = 0,09; 3 RCTs; Evidenz von moderater Vertrauenswürdigkeit) und führt möglicherweise zu einem geringen bis keinem Unterschied im unabhängigen Funktionsstatus (RR 0,98, 95% KI 0,78 bis 1,24, P = 0,87; 2 RCTs; Evidenz von niedriger Vertrauenswürdigkeit) über einen Zeitraum von ein bis drei Jahren.

Die Evidenz ist unsicher hinsichtlich der Wirkungen einer Langzeittherapie mit Thrombozytenaggregationshemmern auf MACE (RR 0,89, 95% KI 0,64 bis 1,22, P = 0,46; 1 RCT; Evidenz von moderater Vertrauenswürdigkeit), Tod (RR 1,08, 95% KI 0,76 bis 1,53, P = 0,66; 1 RCT; Evidenz von moderater Vertrauenswürdigkeit), alle schwerwiegenden okklusiven vaskulären Ereignisse (RR 1.03, 95% KI 0,68 bis 1,55, P = 0,90; 1 RCT; Evidenz von moderater Vertrauenswürdigkeit), ICB (RR 0,52, 95% KI 0,27 bis 1,03, P = 0,06; 1 RCT; Evidenz von moderater Vertrauenswürdigkeit) und den unabhängigen Funktionsstatus (RR 0,95, 95% KI 0,77 bis 1,18, P = 0,67; 1 RCT; Evidenz von moderater Vertrauenswürdigkeit) über eine mediane Nachbeobachtung von zwei Jahren.

Bei Erwachsenen, die innerhalb der letzten 180 Tage einen nicht-kardioembolischen ischämischen Schlaganfall oder eine transitorische ischämischen Attacke und in der Voranamnese eine ICB hatten, gab es keine Evidenz für eine Wirkung von Langzeit-Cilostazol im Vergleich zu Aspirin auf MACE (RR 1,33, 95% KI 0,74 bis 2,40, P = 0,34; Untergruppe von einer RCT; Evidenz von niedriger Vertrauenswürdigkeit), Tod (RR 1.65, 95% KI 0,55 bis 4,91, P = 0,37; Untergruppe von einer RCT; Evidenz von niedriger Vertrauenswürdigkeit) oder ICB (RR 1,29, 95% KI 0,35 bis 4,69, P = 0,70; Untergruppe von einer RCT; Evidenz von niedriger Vertrauenswürdigkeit) über eine mediane Nachbeobachtung von 1,8 Jahren. Über schwerwiegende okklusive vaskuläre Ereignisse und den funktionellen Status wurde nicht gesondert berichtet.

Anmerkungen zur Übersetzung: 

E. Völzke, B. Schindler, freigegeben durch Cochrane Deutschland

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