Kernaussagen
Wir sind uns nicht sicher, ob psychosoziale Maßnahmen im Allgemeinen ein wirksames Mittel sind, um den Einsatz von antipsychotischen Medikamenten in Pflegeheimen zu verringern oder nicht. In den Studien wurde eine Vielzahl von Ansätzen verwendet und die Ergebnisse waren uneinheitlich. Es scheint schwierig zu sein, die Ergebnisse für verschiedene Gesundheits- und Sozialsysteme zu verallgemeinern. Es gibt keine Hinweise darauf, dass psychosoziale Interventionen zu unerwünschten Ereignissen wie Stürzen oder Krankenhauseinweisungen führen.
Warum bekommen Bewohner von Pflegeheimen antipsychotische Medikamente?
Viele Heimbewohner*innen leiden an Demenz und haben im Laufe der Krankheit, vor allem aber in den späteren Stadien, emotionale Probleme oder Verhaltensauffälligkeiten. Die Symptome können sowohl für die Bewohner*innen selbst als auch für ihre Angehörigen schwerwiegend und belastend sein und umfassen Angstzustände, Unruhe und Umherwandern, Halluzinationen (Sehen oder Hören von Dingen, die nicht wirklich vorhanden sind) und aggressives Verhalten gegenüber anderen. Das Pflegepersonal wird durch das herausfordernde Verhalten der Bewohner*innen und der Suche nach möglichen Ursachen, Vorläufern oder Folgen dieser Verhaltensweisen zusätzlich belastet.
Häufig werden antipsychotische Medikamente eingesetzt, um diese Symptome und Verhaltensweisen zu kontrollieren. Diese Arzneimittel werden hauptsächlich zur Behandlung von Psychosen eingesetzt (psychische Probleme, die dazu führen, dass Menschen Dinge anders wahrnehmen oder interpretieren als andere Menschen), aber auch bei anderen Krankheiten mit psychoseähnlichen Symptomen wie Demenz. Diese Medikamente sind nicht immer wirksam und können bei Menschen mit Demenz unerwünschte Wirkungen haben. In Leitlinien wird daher empfohlen, sie nur dann einzusetzen, wenn nicht-medikamentöse Ansätze erfolglos waren.
Was wollten wir herausfinden?
Aufgrund des begrenzten Nutzens und des potenziellen Schadens von Antipsychotika bei Menschen mit Demenz besteht ein großes Interesse daran, den Einsatz von Antipsychotika in Pflegeheimen zu reduzieren. Dazu könnten beispielsweise organisatorische Faktoren, Personalschulungen oder andere Maßnahmen gehören. Wir interessierten uns für so genannte psychosoziale Interventionen, die sich auf die Organisation der Pflege beziehen, und alternative (nicht-medikamentöse) Strategien fördern. Diese Maßnahmen umfassen oft verschiedene Komponenten, wie die Schulung des Personals, die Überprüfung der Medikation durch Expert*innen sowie zusätzliche Unterstützung und Aktivitäten für die Bewohner*innen. Diese Maßnahmen steigern möglicherweise das Wohlbefinden der Heimbewohner*innen oder verbessern die Fähigkeiten des Pflegepersonals zur Unterstützung von Bewohnern mit Demenz. Ein Ansatz ist die so genannte personenzentrierte Pflege, die darauf abzielt, als Individuum nach seinen persönlichen Bedürfnissen behandelt zu werden.
Wie gingen wir vor?
Wir suchten nach Studien, in denen psychosoziale Maßnahmen zur Verringerung von Antipsychotika mit der üblichen Behandlung verglichen wurden. Wir untersuchten die Auswirkungen dieser Maßnahmen auf die Anzahl der Personen, die mit antipsychotischen Medikamenten behandelt wurden, sowie auf die psychische und physische Gesundheit der Bewohner*innen und ihre Lebensqualität. Wir suchten auch nach Informationen über unerwünschte Ereignisse wie Stürze und Krankenhauseinweisungen.
Wir fassten die Ergebnisse der Studien mit statistischen Methoden zusammen und bewerteten unser Vertrauen in die Evidenz auf der Grundlage von Faktoren wie Studienmethoden und -größe.
Was fanden wir heraus?
Wir fanden fünf Studien, an denen 120 Pflegeheime mit 8342 Bewohner*innen beteiligt waren. Eine Studie wurde in den USA, eine in Kanada, zwei im Vereinigten Königreich und eine in Deutschland durchgeführt. Die Studien hatten eine Dauer von sechs bis 12 Monaten. Alle Interventionen in den Studien umfassten Schulungen für das Pflegepersonal und andere Teammitglieder. Zwei Studien untersuchten speziell die personenzentrierte Pflege und eine weitere untersuchte die personenzentrierte Pflege mit zusätzlichen Maßnahmen (Bewegung, soziale Aktivitäten oder Medikamentenüberprüfung).
Hauptergebnisse
Wir entschieden, dass die Studien zu unterschiedlich waren, um ihre Ergebnisse vergleichen zu können. Insgesamt können wir nicht mit Sicherheit sagen, dass psychosoziale Interventionen zu einem geringeren Einsatz von antipsychotischen Medikamenten führen, da die Studienergebnisse nicht konsistent waren. In den beiden ältesten Studien wurde festgestellt, dass die Interventionen den Einsatz von Antipsychotika verringern. In einer Studie ging es um eine Bildungsmaßnahme, in der anderen um die Förderung der personenzentrierten Pflege in Pflegeheimen im Vereinigten Königreich. Ein späterer Versuch, diese Intervention in Deutschland zu durchzuführen, war nicht erfolgreich. Die Studie, in der zusätzliche Maßnahmen zur personenzentrierten Pflege untersucht wurden, ergab, dass eine Überprüfung der Medikation (nicht aber zusätzliche Bewegung oder soziale Aktivitäten) den Einsatz von Antipsychotika möglicherweise verringern. Die aktuellste Studie zu einer weiterbildenden Maßnahme des Personals ergab keine Veränderung der antipsychotischen Medikation.
Drei Studien machten Angaben zu unerwünschten Ereignissen wie Stürzen oder Krankenhauseinweisungen. Es gab keine Hinweise darauf, dass ein Zusammenhang bestand. Wir fanden auch keine eindeutige Evidenz dafür, dass die Maßnahmen einen Einfluss auf andere Messgrößen der körperlichen oder geistigen Gesundheit oder der Lebensqualität hatten.
Was sind die Limitationen der Evidenz?
Aufgrund der geringen Anzahl an Studien, der Unterschiede zwischen den Studien und ihrer uneinheitlichen Ergebnisse ist unser Vertrauen in die Ergebnisse dieses Reviews gering. Die Studien wurden in verschiedenen Ländern durchgeführt, in denen die Standardversorgung unterschiedlich sein kann. Nicht alle Studien berichteten Daten zu allen Aspekten, an denen wir interessiert waren.
Wie aktuell ist die vorliegende Evidenz?
Dieser Review ist eine Aktualisierung eines vorherigen Reviews. Die Evidenz ist auf dem Stand von Juli 2022.
T. Brugger, B. Schindler, freigegeben durch Cochrane Deutschland